Martha im Gepaeck
Livree stand direkt hinter der Tür an einem hölzernen Empfangstresen. Seine Funktion war es, minderwertige Gäste abzuwehren, das war sofort klar. Gäste wie die Thiemes, besser gesagt wie Bernd – in Shorts und staubigen Sandalen.
»Eine Flasche Wasser kostet hier so viel wie andernorts drei Flaschen Wein. Das kann doch nicht euer Ernst sein? Und wer soll das eigentlich bezahlen?«, zischte Bernd leise. »Das ist bestimmt nichts für uns. Weiter hinten sind wir an einem sehr schönen Pub vorbeigekommen, mit Freisitz, The King’s Head , simple schottische Küche, herzhaft und …« Er brach ab und folgte stumm seiner Familie, die ihn komplett ignorierte und im Gänsemarsch hinter Martha herlief. Diese unterhielt sich angeregt mit dem livrierten Mann.
Karen wunderte sich. Wieso konnte Martha dieses schottische Gebrabbel nur verstehen? Und warum lachte der Mann jetzt? War er auch ein »Clanmitglied«? Hatte er was Kariertes an? Karen konnte nichts erkennen. Was erzählte Martha ihm nur? Dass sie Nachfahren von Queen Mary waren?
Kellner glitten zügig und geschmeidig durch den Saal, in dem man den Thiemes nun tatsächlich einen großen Tisch zuwies.
»Wie hast du das geschafft, Martha?«, fragte Karen leise. »Wir haben doch gar keine Reservierung?«
»Natürlich haben wir eine Reservierung«, gab Martha ebenso leise zurück. »Jeder, der ein gewisses Scheinchen rüberschiebt, hat eine Reservierung.«
»Du hast den Mann bestochen?!«
»Ich habe unsere spontane Reservierung bestätigt, mehr nicht.« Martha rieb sich die Hände.
Karen schüttelte den Kopf, beschloss aber, nichts mehr dazu zu sagen. Noch bevor sie richtig saß, hatte ihr jemand ein eiskaltes Glas Wasser eingeschenkt, Sekunden später stellte eine hübsche Kellnerin frisches Brot und Butter auf den Tisch. Karen sah aus den Augenwinkeln, wie Bernds Widerstand dahinschmolz. Er konnte nicht anders. Beim Essen setzte sein Verstand aus. Er griff nach dem Brot, bestrich es großzügig mit Butter von schottischen Hochlandrindern und schloss genießerisch die Augen. Dann griff er nach der Speisekarte und fing an zu lesen. Stutzte. Ein Keuchen kam aus seinem Mund. Ein Husten? Oder ein Lachen?
Karen sah ihn fragend an.
»Die Preise!«, formte sein Mund lautlos.
Karen zuckte betont lässig mit den Schultern. Sie hatte zwar keine Ahnung, wie sie das bezahlen sollten, aber auf jeden Fall würde sie jetzt nicht wieder aufstehen und zum Sheep Heid Inn zurücklaufen. Nicht, nachdem sie schon ein Butterbrot gegessen und ein halbes Glas Eiswasser getrunken hatte. Wie sah denn das aus? Als wären sie die letzten Dorftrottel, die sich versehentlich in die Großstadt verirrt hatten. Wenn das Geld aus der Reisekasse nicht reichte, mussten sie eben ein, zwei Tage eher nach Hause fahren.
Bernd schloss kurz die Augen. Dann schien er eine Idee zu haben. »Wird schon gehen«, verkündete er kauend. »Wird schon gehen. Karen und ich nehmen die Suppe, die macht satt, zusammen mit dem leckeren Brot hier. Ihr Kinder könnt was von der Kinderkarte bestellen, das macht nur zehn Pfund pro Nase, Martha, du nimmst den Seniorenteller. Das wird ja nicht die Welt kosten.«
»Ich mach mich doch nicht zum Horst und esse einen blöden Pinocchio-Teller«, empörte sich Mark. »Ich hab Hunger. Ich will ein Steak!«
»Und ich lasse mir eher meine letzten Zähne mit der Kneifzange ziehen, als einen Seniorenteller zu essen.« Martha lachte. Sie lachte so laut, dass der Kellner verwundert und eilfertig angeflitzt kam. »Die Weinkarte bitte«, sagte sie und wischte sich eine Lachträne aus dem Gesicht. »Und nun mach dich mal nicht verrückt, Bernd. Die Rechnung übernehme ich. Mit Dank an Dwayne.« Sie musste wieder lachen, und diesmal fielen Mark und Karen mit ein. Teresa sah verwundert von einem zum anderen.
Bernd schüttelte resigniert den Kopf. »Wenn ihr jetzt auch noch anfangt, ›Highland Cathedral‹ zu singen, dann gehe ich«, brummte er. Er klang allerdings schon nicht mehr so beleidigt. »Aber das Geld von Dwayne sollten wir nicht ausgeben«, versuchte er es ein letztes Mal. »Dieser Mensch war brutal und jähzornig, der wird uns finden.«
»Quatsch«, sagte Martha. »Dwayne war ungefähr so intelligent wie meine Zwergpalme zu Hause. Ich hoffe, dass Frau Wagner sie gießen wird. Wo war ich? Ach, Dwayne. Der findet uns nicht. Außerdem habe ich das Kennzeichen an unserem Auto verändert, hast du es noch nicht bemerkt?«
»Du hast was?«
»Das Kennzeichen. Aus der 3 habe
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