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Martha im Gepaeck

Martha im Gepaeck

Titel: Martha im Gepaeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Herwig
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langatmigen Passagen aus dem Reiseführer vorlesen. Stimmt’s oder hab ich recht?«
    Er sah jetzt leicht gekränkt aus. »Langatmig sind die also? Du hast dich nie beschwert.«
    Er kapierte es immer noch nicht. »Weil ich einfach abgeschaltet habe. Ich weiß ja, dass du es nur gut gemeint hast, aber … Nun sei doch nicht so.« Karen stupste ihn an und sah in den Spiegel. Sie rümpfte die Nase.
    »Was ist denn? Du guckst so komisch?«
    »Weil ich unmöglich aussehe. Ich brauche unbedingt was Neues zum Anziehen. Hast du doch neulich auch gesagt. Vielleicht gehe ich ein bisschen mit Martha shoppen, und du machst was mit den Kindern?«
    »Das hab ich gesagt?« Bernd tat überrascht, als höre er heute zum ersten Mal davon. Typisch.
    »Natürlich«, erwiderte sie. »Du hast gesagt, dass ich mir neue Wildlederstiefel kaufen soll, schon vergessen?«
    »Ach, das.«
    »Genau – das.« Karen klopfte beruhigend auf seinen Rücken. »Du willst doch auch, dass ich gut aussehe, oder nicht?«
    »Du siehst immer gut aus«, antwortete Bernd mechanisch. »Aber wir können doch alle zusammen einkaufen gehen. Ich könnte dir auch helfen, was Schönes zu finden.«
    Karen musste lachen. Mit Bernd einkaufen? Lieber zog sie mit einem Blindenhund durch die Läden. Mit Bernd einkaufen, das hieß ständiges »Brauchst du das denn wirklich?« und »Bist du fertig?« und »Das ist doch nicht dein Ernst?« oder wahlweise auch »Du hast doch schon ein blaues T-Shirt«. Er würde seufzen, auf die Uhr gucken, im Weg rumstehen und generell unfähig sein, ihr in irgendeiner Weise zu helfen oder auch nur eine vernünftige Meinung zu äußern.
    »Ich liebe deinen Humor«, sagte Karen. Sie zog ihren Rock glatt. Die dämliche Hose lag zusammengeknüllt im Schrank des Autobahn Inn . Vielleicht hatte Dwayne sie vor Wut verbrannt? »Ihr könnt doch auf den Rummel gehen. Martha hat gesagt, dass euch das sicher gefallen wird.«
    »Martha hat das gesagt?« Bernd zog bedeutungsvoll die Augenbrauen hoch. »Aha.«
    In Edinburghs Straßen tobte der Festivalwahnsinn. Gerade zog ein Trupp buntgekleideter Männer auf Stelzen an Bernd vorbei, an jeder Ecke stand ein Jongleur, ein Gitarrenspieler oder Possenreißer. Karen hatte noch nie so viele Männer in karierten Röcken gesehen. Es war wie in einem Hexenkessel. Immer mehr Leute schienen aus allen Ecken zu kommen, ganze Hundertschaften vergnügungssüchtiger Besucher quetschten sich an ihr vorbei. Sprachfetzen aus aller Herren Länder, Kinderschreie und Schmatzen drangen an ihre Ohren, Menschen änderten kurz vor Karen die Richtung und zwangen sie auszuweichen, Rollstühle und Kinderwagen krachten ihr in die Hacken, Ballons tauchten vor ihren Augen auf und nahmen ihr die Sicht. Ganz Edinburgh walzte wie ein gigantischer Organismus durch die Straßen und zog Karen und ihre Familie einfach mit.
    »Wahnsinn«, rief Karen, aber niemand hörte sie.
    »Da ist es«, schrie Mark ihr ins Ohr. Er deutete nach vorn, in Richtung Princes Street Gardens. Weit hinten am Horizont konnte Karen ein kranartiges Gebilde erkennen, auf dem etwas gefährlich schnell hin und her sauste. Rummel. Ihr Liebstes, gleich nach Magen-Darm-Grippe und der jährlichen Steuerabrechnung. Gott sei Dank musste sie nicht mit dahin.
    »Wir gucken nur mal«, sagte Bernd neben ihr, aber es ging ebenfalls im Lärm unter.
    »Viel Spaß, mein Schatz«, sagte Karen und drückte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Stirn.
    Martha hatte in diesem Urlaub einiges durcheinandergebracht. Aber auch etliches verbessert. Zum Beispiel hatte sie sich als weibliche Verstärkung und Einkaufspartnerin eingebracht. Karen hängte sich bei der alten Dame ein und zog sie aus dem Gewühl heraus. »Los geht’s!«
    Im ersten Laden griff Karen zielstrebig nach einem Dreierpack T-Shirts im Sonderangebot und einem knöchellangen geblümten Rock. »Was meinst du?«, fragte sie Martha.
    »Ganz nett für Frauen über neunzig. Ich würde es nicht anziehen. Das meine ich«, entgegnete Martha. Sie nahm ihr den Rock ab und hängte ihn wieder hin. »Kind, hier gibt es nichts für dich. Außer Schuluniformen. Steht Bernd auf so was? Dann können wir dir gern eine kaufen.«
    »Martha!«
    »Wieso? Nicht? Dann sollten wir lieber woandershin. Ich weiß auch schon, wohin.« Und mit diesen Worten drehte sie sich einfach um, so dass Karen nichts anderes übrigblieb, als die T-Shirts wieder hinzulegen und Martha zu folgen. Quer über die Straße, zu Debenhams. Auch so ein Geschäft, das Karen nie

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