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Martha im Gepaeck

Martha im Gepaeck

Titel: Martha im Gepaeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Herwig
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Etage, endlich das heißersehnte Gespräch zu führen.

21 »Karen, ich bin’s, Mike.«
    »Mike?« Sie tat überrascht. »Du? Was gibt’s denn?«
    »Entschuldige, dass ich dich im Urlaub anrufe, das ist sonst echt nicht meine Art, und wahrscheinlich hältst du mich für völlig verrückt.«
    »Ach, gar nicht.« Sie lachte gurrend und strich mit dem Finger die Muster der Korridortapete nach. Sie waren dunkelrot und samtig, reliefartig auf erdbraunem Untergrund. War so was überhaupt jemals modern gewesen? Wie hatten Menschen das nur schön finden können?
    »Na ja, ich wäre schon ein bisschen sauer, wenn man mich im Urlaub nerven würde. Wahrscheinlich sitzt du gerade bei einem guten Tropfen irgendwo und guckst den schottischen Männern unter den Rock.«
    Karen lachte wieder, diesmal lauter, um zu signalisieren, dass sie Mikes Humor köstlich fand. Innerlich platzte sie gleich vor Spannung. Was wollte er denn nun? »Na ja, der gute Tropfen kommt erst noch. Jetzt genießen wir erst mal unser gemütliches Hotel.« An der braunroten Wand hing ein Bild, offenbar von einem Laien gemalt. Von einem Familienmitglied? Oder gar einem Gast, der sich damit für sein miserables Zimmer rächen wollte? Es zeigte einen krakelig gezeichneten Ben Nevis, nach unten so konturlos wie ein Pudding und garniert mit wilden Schraffierungen, die offenbar Bäume darstellen sollten.
    »Ach ja?« Mike schwieg jetzt. Er schien nicht mit der Sprache herausrücken zu wollen.
    Karen hielt es nicht mehr aus. »Ist irgendwas? Kann ich dir irgendwie helfen?«
    »Ja, du kannst mir helfen.« Mike klang erleichtert. »Gut, dass du das ansprichst. Ich bin bei so was immer ein bisschen feige. Aber gegen seine Gefühle ist man nun mal machtlos.« Er lachte unsicher.
    Karen presste das Handy an ihr Ohr, um keine Silbe dieses kostbaren Gesprächs zu verpassen. Sie presste so fest, dass sie wahrscheinlich den ganzen Abend lang mit einem Abdruck am Ohr herumlaufen würde, aber das war ihr egal. Sexy Mike sprach über seine Gefühle – er empfand also tatsächlich genauso viel für sie wie sie für ihn. Schmetterlinge begannen in ihrem Bauch zu flattern. »Ja?«, hauchte sie gespannt.
    »Ich meine, sie weiß wahrscheinlich nicht mal, dass ich sie mag. Sieht mich nur als Kollegen«, brach es aus Mike heraus.
    »Bestimmt weiß sie das.« Warum redete er von ihr in der dritten Person?
    »Und dann steht sie auf so junge Typen. Das hab ich ja mitgekriegt, und auch wenn ich natürlich noch gut in Form bin, also, denke ich zumindest, äh, also dann denke ich eben, dass ich ihr vielleicht nicht gefalle, obwohl sie ja keine Ahnung hat, dass ich überhaupt was für sie empfinde.«
    Die rotbraune Wand verschwamm leicht vor Karens Augen. Etwas stimmte hier nicht. Mike verhielt sich nicht nach den Regeln, wich von dem unsichtbaren Skript ab. »Was?«, fragte sie.
    »Ja, was. Was mach ich denn nur, Karen? Seit sie aus dem Urlaub zurück ist, ist sie so komisch, ignoriert mich total. Du kennst sie doch am besten, ihr seid doch so was wie Freunde, meinst du, ich hab ’ne Chance bei ihr?«
    »Bei wem?«, quäkte Karen, obwohl sie die Antwort bereits wusste. Die Wand schien näher zu kommen, die Muster darauf vollführten einen zappelnden Tanz.
    »Na, bei Bettina. Kannst du nicht ein gutes Wort für mich einlegen? Mal rausfinden, was sie über mich denkt? Ich will sie nicht zum Essen einladen, wenn sie mich widerwärtig findet.«
    »Widerwärtig.«
    »Sie findet mich widerwärtig? Meinst du das? Hallo? Karen, bist du noch dran?«
    Die Muster wirbelten vor ihren Augen wie in einem Orkan herum, wie in einem Tornado aus Wut, Frustration und gekränkter Eitelkeit. »Ich habe keine Ahnung, was sie von dir hält. Warum fragst du sie nicht selbst, anstatt mich am Telefon mit diesem Kram zu behelligen? Ich hab Urlaub, Mike!« Karen drückte mit aller Kraft auf das rote Telefonsymbol ihres Handys. Dann schlug sie damit nach der fetten Schmeißfliege, die gerade auf einem der dunkelroten Tapetenkrater an der Wand herumkroch. Die Fliege war sofort tot und fiel als Klumpen auf den Boden.
    »Arschloch«, sagte Karen laut.
    Die Destillerie sah fast aus wie eine kleine graue Steinkirche, nur dass sich statt eines Türmchens auf dem Dach zwei befanden. Dort oben dampfte der Alkohol heraus, erklärte Bernd. Woher wusste er nur immer solche Dinge? Und wieso erfuhr Karen erst mit dreiundvierzig Jahren davon? Gab es Informationen, die bei ihr anklopften, um dann ungefiltert durch sie

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