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Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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junger Mann – später einmal für kleine galante Zerstreuungen; aber auch daran dachte er gegenwärtig nicht.
    Er schlenderte über den Ring dahin. Der Abend war schon hereingebrochen. In den Auslagefenstern funkelten die Gas- und elektrischen Flammen. Kunsthandlung, Blumenhandlung, Fahrradhandlung, Schmuckhandlung – eine neben der anderen zeigte ihre Reichtümer und ihre Lebensgenußlockungen. Vor einem erzherzoglichen Palais, dessen erste Etage in Licht strahlte, hielt eine Reihe von Equipagen – offenbar war großes Diner ... Aus dem Grand-Hotel, an dem er jetzt vorüberging, drang eine Musikwoge – nun ja, zur Table d'hôte spielte ein Orchester –; ein junges Paar in Reisekostüm kam eben unter dem Tor hervor und schritt – von Portier und Hoteldirektor begleitet, zu einem mit eleganten Koffern und Taschen bepackten Wagen: »Zum Orientexpreß – Kutscher – schnell –«
    Hier freilich sah die Welt aus, wie die beste aller Welten, hier hatte man nach Reformen kein Verlangen ... Mit plötzlichem Entschluß winkte Rudolf einem Fiaker. Er wollte ein ganz verschiedenes Stück des hauptstädtischen Lebens anschauen – lernen, beobachten, Erfahrung und Anfeuerung suchen zu seiner Aufgabe.
    »Wohin, Euer Gnaden?« fragte der Kutscher.
    »Weit in die Vorstadt hinaus – irgend eine Vorstadt, nahe bei der Linie – zu irgend einem Gasthaus –«
    »Was für ein Gasthaus?«
    »Wo es gerade Volkssänger, oder lieber noch: wo es eben eine Versammlung gibt oder ähnliches ...«
    »Ich versteh', Euer Gnaden, zufällig is in Margarethen draußen, beim »Goldenen Apfel«, heut Siegesfeier oder so was politisches. Is das recht?« »Ganz recht – fahren wir zum »Goldenen Apfel«.«
    Nach einer Viertelstunde hielt der Wagen vor dem Wirtshaus, ein unansehnliches, nur stockhohes Gebäude.
    Der Kutscher öffnete den Schlag:
    »Hier sein mer, Euer Gnaden – da ist der Eingang.« Er zeigte auf eine Tür im beleuchteten Erdgeschoß. »Gut. Warten Sie da.«
    Es war ein mit Bierdunst und Zigarrenrauch gefüllter Raum, den Rudolf jetzt betrat, ein länglicher, niedriger Saal. Ungefähr zwanzig besetzte kleine Tische und im Hintergrund eine lange Tafel, um die dichtgedrängt etwa dreißig Männer saßen. Nur einer davon stand mit hochgehobenem Glase: »In diesem Sinne –« also der Schluß eines Toastes, und die Tafelrunde brachte ein sogenanntes »donnerndes Hoch« aus.
    In der Nähe dieses Ehrentisches war an einem kleinen Tischchen noch ein Platz frei. Hier ließ sich Rudolf nieder und bestellte ein »Krügel« Bier. Erstaunte Blicke – von Gästen und Kellnern – streiften ihn, denn seine Erscheinung paßte wenig zu der gewohnten Kundschaft des Lokals. Diese bestand – nicht aus Arbeitern, sondern aus allerlei Gewerbetreibenden und »Hausherren« vom Grund: Pfaidler, Selcher, Fleischer – behäbige Kleinbürger, sich selber ungeheuer wichtig dünkende Wähler.
    Es war richtig so wie der Fiaker es gesagt: eine politische Siegesfeier. Der Kandidat der anwesenden Stimmenabgeber war gegen einen »liberalen« Gegenkandidaten mit großer Majorität durchgedrungen. Jetzt war der kleine Mann gerettet und die Korruption überwunden und der Glaube der Väter befestigt und was die Konsequenzen eines solchen Wahlsieges mehr sind.
    Alles dies hörte Rudolf aus den einzelnen Sätzen heraus, die aus der allgemeinen Unterhaltung zu ihm herüberdrangen. Das ganze untermengt mit boshaftgemeinen Brocken und Schmähausrufen, wie: »Na, wir wollen's ihnen zeigen«, »Blutaussaugerpack«, »Mir sein mir und lassen uns nix g'fallen«, »Außa mit die tiafen Tön«. An Rudolfs Tischchen saßen zwei junge Männer von widerlichem Aussehen; der eine fahl und mager, der andere feist und blaurot im Gesicht; gekleidet schienen sie in »von Herrschaften abgelegte« Anzüge, mit verknitterten Hemden und lose gebundenen schmutzigen Krawatten. Die beiden unterhielten sich miteinander, aber nicht über Politik, sondern über verschiedene Malis und Resis und Mizzis, deren Feschigkeit und »harbe Reize« sie einander rühmten. Sie gehörten aber auch zu der Gesellschaft der Ehrentafel, denn als der vorige Toast beendet war, hatten sie mit ihren Klügeln hinübergewunken »Prosit, Spezi«.
    Ein großer Ekel schnürte Rudolfs Kehle zu. Das also sind die Stoffe, aus denen die Landesgesetzgebung gebraut wird – Leute von solchem Bildungsgrad, tief unter Null – von solcher Gesinnungsroheit ... die gehören zum Räderwerk der Maschine, die eines großen

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