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Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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jagen oder umbringen kann man's leider nit. Aber verhindern kann man's, daß Richter oder Lehrer werd'n – nix kaufen soll man in die jüdischen G'schäft – und wenn mögli, die Güter von die Reichen – von die Rothschilds und dergleichen – einziehn. Und kan Umgang mit ihnen haben – auch mit die Getauften nit –«
    Ein anderer fiel jetzt ein, der Grimmigsten einer:
    »Ich möcht schon mittun, wenn sich a Jud taufen läßt – sowie der heilige Johannes es tan hat – ihn ganz eintauchen – dann aber sein Kopf so lang unterm Wasser tauchen, bis er dersauft.« Das hübsche Scherzwort erregte beifälliges Gelächter.
    Rudolf hatte sich dem Festtische mit der Absicht genähert gehabt, mit ein paar aus seiner inneren Bewegung quellenden Worten etwas Aufklärendes über die Pflichten und Ziele von Volksvertretern zu sagen, – zu demonstrieren, daß durch Haß und Verfolgung nichts Ersprießliches geleistet werden könne; an Herz und Vernunft hatte er appellieren wollen und zeigen, wie diese beiden, wenn in den Dienst der Mitbürger gestellt, diesen zu moralischer und materieller Erhebung verhelfen können. Aber nach dem, was er jetzt gehört, sah er ein, daß eine solche Sprache hier ebenso wenig verständlich wäre, wie etwa eine griechische Ode vor einem Trupp von Irokesen, und er verzichtete auf jeden weiteren Versuch, mit den Anwesenden zu diskutieren. Nur nach einem Worte suchte er, das seiner ganzen Entrüstung über den wahrgenommenen barbarischen Tiefstand Luft machte – aber er fand es nicht.
    »No, is der Herr jetzt paff? Sieht er ein, daß man gegen so stramme Parteileut' wie wir, nit aufkommen kann – daß wir für unser christliches Volk einstehen werden, gegen alle Juden und Judenliberalen, sowie gegen alle Freimaurer und Sozi. Unser altes Wien, mit sein' goldenen Herz, mit sein' frommen Sinn, darf uns von die Eindringlinge und ihre Knecht' nit verschandelt werd'n: No, sagt der Herr noch immer nix?«
    »Ich sage, daß ich Sie ebenso tief bedauere, als – verachte.« Und er wollte sich zum Gehen wenden. Aber da brach ein Sturm los. Alle sprangen von ihren Sitzen auf, Schimpfworte flogen durcheinander, worunter der Ruf »Jud, Jud« am häufigsten erscholl, weil er in solcher Mitte als die gehässigste Beschuldigung gemeint ist. Einer warf seinen Bierkrug nach Rudolfs Kopf, doch ohne ihn zu treffen. Zwei Leute – die Burschen, an deren Tisch er vorhin gesessen – packten ihn an den Schultern, und, während nunmehr der ganze Saal in den Schrei: »Außi, außi, werft's in außi« ausbrach, wurde der Überwältigte zum Ausgang gedrängt und so unsanft herausbefördert, daß er auf das Pflaster fiel. Hinter ihm schlugen die Exzedenten die Tür wieder zu.
    Die Straße war leer; nur der Fiaker stand da. Erschrocken sprang der Kutscher herbei und half seinem Fahrgast vom Boden auf.
    »Jessas, Maria und Josef, Euer Gnaden, haben's Ihnen weh tan?«
    »Nichts, nichts ...« wehrte Rudolf ab. »Fahren wir wieder auf den Ring zurück.« Und er stieg ein. Im Wagen bemerkte er, daß er an einer Stirnwunde blutete.
    Es war aber nur ein Ritzer. Am folgenden Tage spürte er nichts mehr davon. Aber eine andere Wunde hatte ihm der Vorfall geschlagen. Eine tiefe Verletzung seines Glaubens an die Menschheit.

XXX.
    Hugo Bresser erwartete mit Ungeduld das versprochene Wort. Nach zwei Tagen traf es ein:
    »Ich will Dein sein. Aber ohne Falsch und Hehl. Erst muß ich mich befreien. Also noch Geduld. Ich schreibe wieder. Bis dahin ist Dir mein Haus verschlossen. Aber nicht wahr? Das Wort genügt – ich wiederhole es: so wahr ich weiter leben will, und kann – Dein will ich sein.«
    Von diesen Zeilen aufs tiefste erregt, setzte sich Hugo sogleich an seinen Schreibtisch, um zu antworten. Seine Pulse flogen, ein seliger Rausch erfaßte ihn und mit fliegender Feder schrieb er auf die erste Seite vier glühende Strophen – ein Triumphlied über das Thema: »Du willst mein sein« vielleicht das schönste Lied in dem Zyklus »An sie«, – dann fuhr er in Prosa fort:
    »Sylvia, sag' nicht zum Glücke »Später!« Später kann ja eins von uns zweien gestorben sein – was wäre das für ein Raub! Du willst Dich frei machen? Bist Du's denn nicht? Spürst Du nicht, daß in beglückter Liebe eine solche Kraft liegt, daß sie alle Ketten, Skrupel, Rücksichten spielend über alle Dächer schleudert?
    Das ist ja wieder ein sklavisches und ängstliches Sichbeugen unter das Joch des fremden Willens, ein Abhängigsein von fremdem

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