Martha's Kinder
würde hundert solche Existenzen aufwiegen, wie die, denen ich sonst entgegenvegetiere ...
Und dann, wer weiß? Für das Alter kann uns auch noch ein schöner Frieden blühen. Selbst den Satzungen der Welt können wir ihre Tribute entrichten. Ich kann ja auch Bressers Gattin werden – wie Cosima Bülow die Gattin Wagners geworden. Ich will mich von Toni scheiden lassen. Es wird hoffentlich nicht schwer sein; dann kann er seine Geliebte heiraten und seinen Knaben – Du siehst, ich weiß alles – legitimieren.
Gibt er mir meine Freiheit nicht – nun dann nehme ich sie mir ... Als mein Recht. Ich lehne mich auf!
Daß eine Frau einem Mann, der sie für eine andere verlassen hat, für den sie selber auch keinen Funken Liebe mehr empfindet – ihre ganze Zukunft opfere, dabei ihr Herz ersticken muß: dieses abscheuliche Unrecht werde ich nicht erdulden. Ich lehne mich auf!
Damit werde ich nicht nur mir, damit werde ich – wie mit jedem Kampf ums Recht – der abstrakten Gerechtigkeit und meinen Leidensschwestern gedient haben.
Da wird immer so viel gezetert und gejammert über Ketten und Joche und Hörigkeiten ... Die Meinen – Du, Mutter, an der Spitze mit Deiner Auflehnung gegen den Krieg, und Rudolf mit seinem Feldzug gegen jegliche Gewalt ... aber das Jammern und Zetern hilft nicht: abschütteln muß man. An der Hörigkeit sind die Hörigen schuld mit ihrer sträflichen Geduld ... Ein gebeugter Nacken: ist das schön? Nein – schön ist das zurückgeworfene Haupt, das achilleische Lockenschütteln –
Mein Gott, Mama, ich rede etwas überspannt ... die Worte kommen mir so ... Seit Monaten und Monaten lese ich Gedichte und gebundene Sprache – und jetzt, in der Erregung, verfalle ich in diesen Ton ... Und doch, was ich vorhabe, Du wirst es gleich hören, ist nichts Überspanntes, Übereiltes – ist ein überlegter, ruhiger Schritt.
Ich will mit Toni in Ordnung kommen – ihm alles sagen, meine Freiheit zurückverlangen, Scheidung anbieten und dann – sollte er sich auch weigern – mir mein Leben einteilen, wie ich muß – ohne Heuchelei. So lange ich nicht alles geordnet und geklärt habe, will ich Bresser nicht wiedersehen. Es wäre mir – nach dem gestrigen Abend, nach dem heute nacht geträumten Traum unmöglich – ich versichere Dir, einfach unmöglich – ihm nicht ans Herz zu sinken. Und das will ich nicht, solang ich's nicht »in Reinheit« tue, das heißt ohne Hehl wie ohne Reue.
Siehst Du, ich bin hierher zu Dir gekommen, um meinen Wahrheitsmut auf die Probe zu stellen, um ihn zu festigen ... Werde ich imstande sein, meiner Mutter alles zu sagen? Das fragte ich mich, noch auf der Stiege ... Ich habe die Probe bestanden – und jetzt ist mir leicht und licht ums Herz.«
Sie stand auf und blickte ihrer Mutter ins Gesicht: »Nun möchte ich Deine Antwort hören.«
Martha legte den Kopf an die Fauteuillehne zurück und schloß die Augen.
»Bist Du böse?«
Ein tiefer Seufzer hob Marthas Brust.
»Meine armen Kinder –« sagte sie leise.
»Warum arm, Mutter?« Sie kniete wieder neben Martha nieder – »und warum denkst Du jetzt auch an Rudolf? Was hat sein Schicksal mit dem meinigen gemein?«
»Daß Ihr beide gleich zu bedauern seid. Beide fühlt Ihr das, was in Eurer Welt Euch umgibt, als unerträglich. Schranken ... Ihr wollt sie einrennen und stoßet Euch blutig daran.«
»Mag sein, aber wir bringen sie ins Wanken – desto besser für die, die nach uns kommen. Ich frage Dich nochmals: bist Du böse?«
Martha verneinte mit stummen Kopfschütteln. Sylvia küßte sie.
»Jetzt will ich gehen, Mama. Morgen komme ich wieder. Da wirst Du über alles nachgedacht haben und mir Antwort geben können. Jetzt bist Du zu erschüttert. Leb' wohl.«
XXVIII.
»Ich werde meinem Kinde behilflich sein – nämlich die Ehescheidungssache zu ebnen trachten. Vielleicht blüht ihr doch noch ein Lebensglück an der Seite des geliebten Dichters.
Glück, Glück ... daß wir alle immer nach diesem Phantom haschen; daß wir immer glauben, wir hätten ein Anrecht darauf, nicht nur für uns selber, sondern auch für alle, die uns teuer sind ... Für mich habe ich ja schon lange abgeschlossen – aber in dem Glücke meiner Kinder hatte ich mich noch sonnen wollen, und wie ist das nun anders gekommen! Beide in Kampf und Sorgen, beide aus den normalen, gesellschaftlich gesicherten Lebenslagen gerissen, die ja der solide Untergrund sind, auf den glückliche Existenzen sich aufzubauen pflegen.
Bin ich nicht mit
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