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Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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Bund zu lösen, der – wie es sich nun zeigte – nicht auf zweifel- und reueloser Gesinnung ruhte? ...
    Mit raschem Entschluß öffnete sie ihre Mappe um einen Abschiedsbrief zu schreiben.
    In der Mappe lag ein Zettelchen, das einst zwischen die Blumen des ersten Brautbuketts gesteckt war, das sie von Delnitzky bekommen.
    An das Zettelchen hatte sie nicht mehr gedacht und sie schob es jetzt beiseite, um einen Briefbogen hinzulegen. Dabei streifte ihr Blick den Inhalt – den hatte sie auch vergessen gehabt:
    »Mein Glück über das erhaltene »Ja« ist so groß, daß es kein Maß dafür gibt. Nur etwas hätte noch größer sein können: meine Verzweiflung, wenn es »nein« geheißen hätte.«
    Die Worte drangen in Sylvias Innere wie ein flehender Schrei: Um Gotteswillen, laß von Deiner Absicht ab – stürze mich nicht in Verzweiflung!
    Sie malte sich nun den Schmerz aus, den sie daran war, dem geliebten – ja dennoch geliebten – Manne zuzufügen. Daran knüpfte sich noch eine ganze Kette anderer peinlicher Vorstellungen: das ärgerniserregende Aufsehen, das eine zurückgehende Verlobung erregen würde; die Kränkung ihrer Mutter, der Tadel Rudolfs, die Vorwürfe der anderen und – was schlimmer war als alles übrige – der Triumph Hugo Bressers, der mit diesem ihren Entschluß Auslegungen und Hoffnungen verbinden könnte, die ganz falsch wären. Ganz falsch. Ob sie nun mit dem Bräutigam brechen würde oder nicht, ihrer Würde war sie es schuldig, den jungen Schriftsteller fernzuhalten.
    Sie war wieder ganz schwankend geworden.
    Zur Probe nur wollte sie den Brief aufsetzen – unter dem Vorbehalt, ihn nicht abzuschicken.
    Sie tauchte die Feder ein. Dabei sah sie den Diamantring an ihrem Finger blitzen, der das erste Geschenk ihres Bräutigams gewesen. Wie hatte damals das hübsche Kleinod sie gefreut – durch seine geheimnis- und weihevolle Bedeutung gefreut: der Verlobungsring, das Pfand des gegebenen, für das Leben bindenden Wortes ... Leise bewegte sie die Hand hin und her, um die Steine funkeln zu machen.
    Und ist ein Wortbruch nicht auch eine häßliche Handlung? Wahrlich, sie wußte nicht, wo ihre Pflicht lag ... Immerhin, der Brief konnte ja für alle Fälle geschrieben werden. Sie tauchte die wieder trocken gewordene Feder ein zweites Mal in die violette Tinte:
    »Mein lieber Graf Delnitzky – –«
    Sonderbar, wie ihre Hand zitterte – das war ja gar nicht ihre Schrift ... »Verzeihen Sie den Entschluß, zu dem mich reifliche Überlegung brachte – weder ich noch Sie könnten glücklich werden –«
    Sie strich die ganzen Zeilen wieder durch. Wie war das matt ausgedrückt ... Einem Menschen einen Dolch ins Herz stoßen und höflichst um Entschuldigung bitten, für diesen reiflich überlegten Entschluß... So geht es nicht ... es geht überhaupt nicht!
    Sie sprang von ihrem Sitze beim Schreibtisch auf und lief zum Bett, an dessen Rand sie sich auf die Knie warf, das Gesicht in die Decken vergrabend. Beten wollte sie und – weinen.
    Sie stöhnte laut auf: »Toni, Toni, lieb' ich Dich denn nicht mehr? Und doch, ich kann – ich kann Dir nicht Lebewohl sagen. Beides ist so schrecklich traurig: der Verlust meines Glücksgefühls, meines Liebesrausches oder – der Abschied von Dir!«
    Ihre schmerzliche Erregung löste sich in Tränen. Fast eine Stunde lang blieb sie auf den Knien liegen und schluchzte – zuerst heftig, dann immer leiser.
    Eine große Müdigkeit überkam sie und die von Weinen brennenden Augen fielen ihr schlaftrunken zu. Dabei durchrieselte ihre Glieder ein eigenes erschlafftes Wohlgefühl. Sie raffte sich auf und machte ihre Nachttoilette, voll Sehnsucht nach der vollen Ruhe des Bettes. Sie wollte nichts mehr denken – nur schlafen.
    Das Gefühl des Unglücklichseins hatte sie verlassen ... Ein warmer, linder Strom von Zärtlichkeit stieg ihr vom Herzen auf zugleich mit Tonis Bild. Warum hatte, sie ihn denn wie einen Toten beweint – er lebte ja und auch ihre Liebe atmete noch ... Und das Leben überhaupt, das große, reiche, hat ja so viel Schönes zu bieten, so viel Süßes – unter anderm den Schlaf ... wie köstlich würde es jetzt sein, das Bewußtsein zu verlieren und in tiefen, tiefen Schlummer zu versinken ... Sie schlüpfte zwischen die kühlen Linnen, löschte die Kerze aus, vergrub den Kopf in die Kissen und mit einem gemurmelten »Gute Nacht, Toni« schlief sie in wenigen Minuten ein.

IV.
    »Ist's wahr, Rudi – Du willst kandidieren? Wie freu' ich mich!«
    Rudolf

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