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Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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Hülle und fand – was er bestellt hatte – einige kleine Modelle von Dresch- und Säemaschinen. Die Dingerchen interessierten ihn lebhaft. Schon wollte er die Klingel ziehen, um den Verwalter rufen zu lassen; doch rechtzeitig besann er sich, daß es jetzt anderes zu tun gab. Nichts Geringeres als ein Programm aufzusetzen, das den Ausgangspunkt seiner öffentlichen Lebensbahn bilden sollte.
    Nachdenklich schritt er zum Schreibtisch des » studio « zurück. Zum erstenmal stieg ihm ein Gedanke auf, der in der Folge sich oft einstellen sollte: »Man kann nicht zweien Herren dienen.« Und gar dreien: die Familie, die Landwirtschaft und ein Apostolat. Dazu noch alles, was mit seiner Lebensstellung zusammenhing: der Umgang mit den Standesgenossen und die daraus erwachsenden geselligen Pflichten, die Nachbarschaften mit ihren Besuchen, ihren Jagden; die Jagden auf der eigenen Domäne, bei welchem Anlaß; Brunnhof sich mit Gästen füllte und wobei die Tage und Abende nur mit Sport und Billard- und Kartenspiel gefüllt waren; ein Gesellschaftskreis, dessen Interessen und Begriffe von den Interessen und Begriffen, die seine Lebensaufgabe abgaben, durch einen Abgrund getrennt waren.
    Doch, den Gedanken: »man kann nicht zweien Herren dienen,« suchte Rudolf abzuschütteln; man hat eben einen ganzen Kreis von Pflichten und muß allen gerecht werden können ... alles zu seiner Zeit ... und das Leben will auch genossen sein ... ich werde doch den Freuden, die mir von meinem häuslichen und geselligen Leben geboten werden, nicht allen entsagen sollen ... und auch die den nächsten Kreisen schuldigen Rücksichten darf man nicht außer acht lassen, wenn man in der Öffentlichkeit wirken wollte. Man muß nur in den Stunden, die man einer gewissen Sache widmen wolle, auch ganz bei der Sache sein ... An die Arbeit!
    Er legte ein weißes Blatt vor sich hin und nahm die Bleifeder zur Hand. Die Stirn in die linke Hand gestützt, blieb er lange in Nachdenken versunken. Mechanisch führte die rechte Hand Arabesken auf dem oberen Rand des unbeschriebenen Blattes aus. Seine Gedanken zogen weite Kreise. Den ganzen Komplex seiner Einsichten, Schlüsse, Sehnsüchten umfaßten sie. Den Untergrund bildete das Bewußtsein, im Besitz einiger großer, im politischen Leben und in sozialen Einrichtungen noch ganz neuer Wahrheiten zu sein. Die mußten deutlich herausgekehrt, die mußten formuliert werden. Damit theoretische Wahrheiten sich in politische Institutionen, in soziale Sitten umwandeln, dazu müssen sie in die Köpfe der Leiter und der Massen dringen. Zu der Ausführung weittragender Ideen ist dem einzelnen Abgeordneten freilich keine Macht gegeben ... Werkstätte ist das Parlament ja nicht, aber eine Tribüne ist es. Der Predigt in einer Kirche lauscht nur eine kleine Gemeinde; die Parlamentsrede, von allen Blättern wiedergegeben, dringt ins ganze Land und über die Grenzen hinaus ...
    Und nun begann er zu schreiben. Einzelne Hauptworte, durch Punkte getrennt. Gewissermaßen Leitmotive, Absteckpfähle.
    Gemeinwohl. Gerechtigkeit. Versöhnung. Und noch eine ganze Reihe so fort. Als er die Liste überlas, fiel ihm auf, daß diese Worte, die bei der Niederschrift mit ganzen Begriffsketten und Bilderreihen seine Seele erfüllt hatten, voll Größe und voll Verheißung – daß diese Worte abgegriffene Münzen, schlimmer noch: falschen Spielmarken glichen; denn seit Jahren und Jahren und immer wieder, bei jeder neuen Programmrede, in jedem Wahlaufruf wurden solche und ähnliche Worte vorgebracht, – wie sollte damit das Neue und Erhabene, das ihm vorgeschwebt hatte, würdig ausgedrückt werden? Goldechtes Gold war's, was er seinen Mitmenschen hätte bringen wollen; wenn er ihnen aber auch nur diese alten verbogenen Messingmarken brachte, wie sollten sie Vertrauen fühlen – wie den verheißenen Schatz erkennen? Freilich – Gerechtigkeit, Versöhnung und Gemeinwohl; besseres könnte ja ein Volksvertreter nicht versprechen; das traurige ist nur, daß es noch von allen jenen versprochen worden, die das Gegenteil verfolgen, die statt der Gerechtigkeit – der Gewalt Vorschub leisten, die statt Versöhnung – Verhetzung betreiben; die das Wohl der Parteifraktion über alles andere stellen. Für die meisten bedeutet Politik eben gar nichts als: Kampf der Klasseninteressen. Oder auch ein Sprungbrett für persönlichen Ehrgeiz, ein günstiger Posten zur Erlangung eigenen Vorteils. Und die ausgegebene Parole heißt immer »Gerechtigkeit,

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