Martha's Kinder
Gemeinwohl«.
Rudolf suchte nach einem andern Wort. Was not tut, ist nicht das Herzählen der in allen Morallehren, allen Katechismen, allen Festansprachen wimmelnden Tugendnamen; was not tut, ist – jetzt hatte er das Wort: Verwirklichung .
Er tat einen tiefen Atemzug. Wie eine Welle der Energie und des Tatendranges hatte es ihm durch die Brust geflutet. Er sprang auf und ging im Saale auf und nieder. Jetzt hatte sein Gedankengang eine andere Richtung. Tun, tun? Was kann ein einzelner Abgeordneter denn tun in seiner engen Machtsphäre? Er kann fordern. Die Versprechungen und Phrasen, die aus allen Regierungsprogrammen und in den Thronreden ebenso tugendhaft und ebenso – leer wimmeln, wie in den Kandidatenreden, die kann man festhalten – auf ihre Verwirklichung kann man bestehen.
Beim Wort nehmen – das war's. All das schal und hohl gewordene Geklingel der großen Worte, wie müßte das zu herrlich brausender Harmonie anschwellen, wenn man den Sinn herauslöste und den Sinn zwänge, Tat zu werden. Ein sekundenkurzes Leuchten fuhr durch Rudolfs Seele. Wie eine bei Nacht durch einen Blitz erhellte Landschaft, so deutlich, aber auch so flüchtig erschien ihm eine ganze Reihe von lebendig gewordenen Worten: Wohlstand, Freiheit, Frieden, Recht ... diese vier ineinander geschmolzen als der herrliche Begriff »Glück«. Nicht nur allen versprochener, sondern für alle erleichterter Wohlstand, wahre Freiheit, herrschendes Recht, gesicherter Frieden. Dann ward es wieder finster. Aber er hatte dabei das Bewußtsein, daß er später das Licht wieder herbeischaffen könne; nur ein Sichsammeln, ein kurzes Anstrengen und der blendende Ideenschatz wäre wieder da, um sich heben zu lassen – Perle für Perle, Diamant für Diamant – – Also an die Arbeit, sofort!
»Herr Graf – ein Telegramm.«
Rudolf war über die Störung ungehalten. Aber natürlich, mit einer Depesche durfte der Diener jederzeit in das Heiligtum des Arbeitszimmers einbrechen; es konnte ja etwas Unaufschiebbares sein.
Diesmal war es die Nachricht, daß am folgenden Tage Brunnhof Einquartierung bekommen sollte. Die diesjährigen Manöver fanden auf wenige Meilen Entfernung statt. Der Quartiermeister würde in zwei oder drei Stunden der Depesche nachfolgen. Angesagt waren für das Schloß: ein General, ein Oberst und mehrere Offiziere.
Da mußten sogleich Vorbereitungen getroffen, Befehle erteilt werden. Mit dem Programmschreiben war es vorläufig vorbei. Und nicht nur mit diesem, sondern mit der ganzen Stimmung. Als Endaufgabe die Herbeiführung von Zuständen, in welchen die Völker befreit sein sollten von Militärlasten und Kriegsgefahren – und als nächstliegende Aufgabe die reichliche, herzliche, fröhliche Bewirtung von Militärs, die eben von der Kriegsprobe kamen. – Man kann nicht zweien Herren dienen ...«
VII.
Hugo Bressers Leidenschaft war durch die Zwischenfälle jenes Gewittertages zu höchster Glut entfacht. Zuerst der selig-schwüle Augenblick, da er Sylvia im Arm gehalten, dann die Exaltation, in die er sich bei Tische durch die eigenen Worte hineingeredet, wobei er sah, wie des geliebten Mädchens Blick an seinen Lippen hing; dann ihre Gebärde, als sie ihm zutrank; zuletzt ihre Flucht aus dem Salon: – ihm war, als sei jetzt zwischen ihnen beiden ein Einverständnis. Heiß und heftig empfand er, daß etwas Neues in sein und in ihr Leben getreten war. Sie liebten sich – sie mußten einander angehören trotz aller Hindernisse ... die Verlobung würde sie rückgängig machen – –
Bresser hatte am folgenden Morgen schon um acht Uhr von Brunnhof wegfahren müssen, weil er in Wien zu Mittag einer Konferenz jener Unternehmer beizuwohnen hatte, die das neue Blatt gründeten, dessen Feuilletonredaktion ihm zufallen sollte.
Natürlich hatte er zu so früher Morgenstunde keine der Damen des Hauses mehr sehen können; aber für Sylvia hatte er eine stumme Botschaft hinterlassen in Form eines Sträußchens, das er selbst im Garten gepflückt und gebunden, und das er Sylvias Kammermädchen mit dem Auftrag übergeben, es auf ihrer Herrin Toilettentisch zu legen. Es war ein – im Grunde nicht gar geschmackvoll zusammengestelltes – Sträußchen, nur aus roten Blüten bestehend. Eine Rose, ein paar Fuchsien, drei Mohnblumen, und herum ein Doldenring von »brennender Liebe«. Sie würde schon verstehen, was er damit sagen wollte.
Er bestieg ein leeres Coupé. Seine Gedanken flogen von den gestrigen Ereignissen zu der bevorstehenden
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