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Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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Morgensonne verfingen sich goldig in ihrem flockigen Blondhaar.
    Mit lächelndem Wohlgefallen blickte ihr Rudolf nach:
    »Vögelchen liebes! ... Kolibri – süßer ... und von einem Kolibri verlangt man doch kein Adlerhirn...«
    Dann stand er auf und begab sich in den ersten Stock in sein Arbeitszimmer.
    Dieser Raum war im Hause unter dem Namen »der Harlekinsaal« bekannt Wie das zweifarbig geteilte Kleid der Komödienfigur, war das Arbeitszimmer des Schloßherrn in zwei abstechende symmetrische Hälften geteilt. An jedem Ende in tiefer Nische breite Doppelfenster, durch die das Grün der Bäume sichtbar ist. Sowohl am rechten wie am linken Ende ein großer Schreibtisch, so gestellt, daß das Licht nicht gegen die Hand falle. Dort wie da Bücherschränke, dort wie da Wandschmuck. Aber die eine Hälfte in lichtem, die andere in dunklem Holz. Die eine Hälfte eine Kanzlei, die andere was in englischen Landhäusern »studio« heißt.
    Die Zweiteilung von Rudolfs Berufsleben spiegelte sich in dieser Anordnung. Hier: die Wirtschaftsbücher und Katastralmappen; die Geschäftsbriefe, Steuerbogen, landwirtschaftlichen Zeitungen, Prospekte von Maschinenfabriken und Samenhandlungen; Versicherungs-Polizen, Muster von Holz- und Steingattungen; eine ganze Bücherei von Fachwerken über Feld- und Gartenbau, über Obstzucht und Viehzucht, über Milchwirtschaft und Waldkultur. An den Wänden Hirsch- und Rehgeweihe, photographische Ansichten der zu der Domäne gehörigen Meierhöfe, Pferdebilder, und dergleichen mehr. Dort: der Arbeitstisch bedeckt mit Monats- und Wochenschriften sozialpolitischen Inhalts; unter Briefbeschwerern die zu erledigenden Briefe von berühmten Gelehrten und Schriftstellern, mit welchen Rudolf in regelmäßiger Korrespondenz stand. Ein Paket Bücher – eben heute vom Wiener Buchhändler »zur Ansicht« übersandt, immer die hervorragendsten Neuerscheinungen der wissenschaftlichen Literatur. Diesmal: der letzte Nietzsche, Götterdämmerung, Looking backward von Bellamy; Herbert Spencer: Grundlage der Ethik; Carus Sterne: Alte und neue Weltanschauung; Carneri: Entwicklung zur Glückseligkeit. Im Bücherschranke die Werke von Marx, Lassalle, Engel, Henry George, Auguste Comte, Litré, Ernst Haeckel, Stuart Mill, Huxley, Buckle, Strauß, Virchow, Berthelot, Alfred Fouillée, Guyeau u. a. In einem offenen Bücherregale neben dem Schreibtisch eine Reihe von Nachschlagewerken, Lexika und Wörterbücher; in einem andern eine Sammlung von Lieblingsdichtern: Goethe, Byron, Viktor Hugo, Anastasius Grün, Shelley, Platen, Musset, Longfellow, und auch von den damals jüngsten: Liliencron, Henckell, Hart. Daneben Prosadichtungen, wie Tolstois Krieg und Frieden, wie Zolas Germinal. Als Wandschmuck Sternkarten und Photographien berühmter Gemälde lebender Künstler: Gabriel Max, Böcklin, Klinger, Piglheim, Wereschagin. Auch einige Porträts: Darwin, Ibsen, Richard Wagner.
    Rudolf hatte sein Arbeitszimmer in der Absicht aufgesucht, ein Programm für seine Kandidatur aufzusetzen. Da er sich auf keine der bestehenden Parteien einschwören wollte, so mußte er darauf verzichten, sich einfach einer der Gruppen des Großgrundbesitzes anzuschließen; er beabsichtigte, sich in Wien wählen zu lassen, auf Grund seiner eigenen politischen Ideale.
    Darüber wollte er nun ein Programm entwerfen. Noch kein definitives für Druck und Verteilung bestimmtes, sondern zunächst für sich selber. Mit sich mußte er erst einig werden, in welche Form die ihm vorschwebenden Ziele einzukleiden seien. Ein tüchtiges, ernstes Stück Arbeit.
    Ehe er sich zum Schreibtisch setzte, trat er ans Fenster. Von hier aus sah er ein hübsches Bild:
    Im Schatten der alten Linde, unter der Hut eines Mädchens in russischem Bauernkostüm, die rosa Wiege seines Sohnes und eben aus einer Nebenallee herbeieilend, in ihrem flatternden weißen Kleide, Beatrix. Nun war sie zur Stelle und beugte sich über das Wägelchen. Rudolf blieb beim Fenster stehen und schaute der kleinen Familienszene zu. Am liebsten wäre er hinuntergegangen, um sie durch seine Gegenwart zu vervollständigen. Aber er war ja da, um zu arbeiten.
    Zögernd verließ er die Fensternische und sein Blick fiel – am anderen Ende des »Harlekinzimmers« – auf den Arbeitstisch des Landwirts, worauf ein Paket lag, das er nicht kannte – da mußte er doch nachsehen: vielleicht etwas Dringendes.
    Er ging hin, nahm das Päckchen zur Hand – es war inzwischen von der Post gekommen –, entfernte die

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