Martha's Kinder
nächstens auch ihnen zuteil. Das ist ja Tribut, den das Schicksal allen Töchtern der »Gesellschaft« sozusagen schuldet...
Die Gespräche der Herren im Saale drehten sich fast ausschließlich um die Jagd. Es war ja eben die Jahreszeit, da man von einem Schloß zum anderen fuhr, um Hasen, Rehe und Fasane zu erlegen, und einer erzählte dem andern, oder fragte, bei wem gestern gejagt worden, und bei wem morgen gejagt werde und wieviel man dort geschossen habe und wieviel da. Einige waren so glücklich, von kaiserlichen und erzherzoglichen Jagden erzählen zu können, an denen sie teilgenommen hatten, oder die ihnen bevorstanden. Rudolf, der Hausherr, brachte Einladungen zu den Brunnhofer Jagden vor, die vom 21. bis 23. November stattfinden sollten. Auch in die Unterhaltung der Damen mischte sich häufig das Wort »Jagd«. Wenn auch nur wenige unter ihnen waren, die sich aktiv, mit dem Gewehr auf der Schulter, an dem Sport beteiligten, so gehörte doch die ganze Sache um diese Herbstzeit so sehr zur Lebensausfüllung ihrer Kreise, daß sich ihre Gedanken und Gespräche damit beschäftigen mußten. All den Hausfrauen, denen das Empfangen und Bewirten der Gäste obliegt, ist das Thema beinahe ebenso wichtig, wie für die Jagdherren. »Wieviel ist geschossen worden?« das ist die erste Frage, welche die gastliche Wirtin an die heimgekehrten, vor dem Diner im Salon versammelten Jäger richtet, worauf dann jeder einzelne nach mit lebhaftestem Interesse um die Zahl seiner Beutestücke befragt wird. »Wieviel haben Sie geschossen? Und wieviel Sie?« Den Franzosen und den Engländer fragt man: »Wieviel Stück haben Sie getötet ?« Der letztere fügt der genannten Zahl höflich hinzu: Oh, it was exzellent sport.«
Sport? Also nur Vergnügen? Mit nichten. Das Ding wird als eine Art Berufspflicht aufgefaßt, als etwas, das man – dem gegenseitigen Rang und Reichtum angemessen – sich und seinen Standesgenossen schuldig ist. »Der erste Bock«: das ist nicht nur ein Jubelbewußtsein für das junge Gräflein – auch seine Mutter erzählte ihren Freundinnen mit Stolz, daß der Gusti oder der Fredi neulich seinen ersten Bock geschossen. Wenn das in Marthas Gegenwart geschah, so blieb sie stumm. »Das arme Reh!« war, was sie dabei dachte, und auch ein wenig »Der arme, Bub'«, denn wenn das als freudvolles Ehrgeizziel gelten soll: die Vernichtung eines unschuldigen Lebens ...
Alle Gespräche sind plötzlich verstummt. Sylvia tritt über die Schwelle in einer weißen Glorie von Atlas, Tüll und Myrtenblüten. Zwei kleine Knaben – in Pagenkostüm – tragen ihre Schleppe.
Zugleich war auch Baronin Tilling erschienen. Diesmal hatte sie doch die gewohnte tiefe Trauer abgelegt und war in lichtes Grau gekleidet. Beide Frauen waren blaß und hatten gerötete Augen. Die anderen fanden das natürlich: der Abschied und die Feierlichkeit der Lebenswende – das ist ja Grund genug zum Tränenvergießen. Sie hatten aber nicht nur aus diesem Grund geweint – Mutter und Tochter. Ein banges Weh hatte sie beide erfaßt, ein Gefühl beinahe wie Furcht und Reue.
Jetzt aber stürzten die vier Kranzeljungfern auf die Braut zu und umarmten sie stürmisch; von allen Seiten Händedrücke, Küsse, Gratulationen, Verbeugungen ... Sylvias Bangen wich dem wiedererwachenden Bewußtsein, daß sie der vielbeneidete, vielbewunderte Mittelpunkt dieser glänzenden, wichtigen Feier war. Und auch von ihrer verliebten Leidenschaft strömte wieder eine beglückende Welle zu ihrem Herzen empor, als sie nun ihren schmucken Bräutigam, der auf sie zueilte, in die freudestrahlenden Augen sah.
Noch ein paar Minuten der Begrüßungen und der Gespräche, dann begann, unter Rudolfs Anordnung, der Zug sich zu bilden.
Der Weg aus den Salons zur Schloßkirche – wenn man nicht ins Oratorium, sondern in das Schiff gelangen wollte – führte über zwei Treppen und einen langen Korridor. Dieser ganze Weg war teppichbelegt und mit Reisig und Blumen bestreut. Davon stieg ein Duft auf, der an Fronleichnamsprozessionen mahnte. Glocken- und Orgelklänge drangen auch schon aus dem Kirchlein herüber. Am Arm des Brautführers – ein junger Vetter, Graf Althaus –, schritt Sylvia langsam dahin, hinter ihr die schleppetragenden Pagen; es war ihr dabei zu Mute, halb als ob sie träume, halb als ginge sie über eine Theaterbühne, und nicht, als wäre das alles wirkliches Erlebnis.
Und als sie die Kapelle betrat und die unzähligen brennenden Kerzen sah, die zwischen den
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