Martha's Kinder
Blattpflanzen auf und rings um den Altar flimmerten, da empfand sie etwas von dem Eindruck, den man beim Betreten eines Zimmers hat, in dem ein angezündeter Christbaum strahlt. Bescherungen und Überraschungen sollte es ja da auch geben: ein funkelnagelneuer Frauentitel, ganze Schachteln voll interessanter Pflichten – und auch Süßigkeiten, sonst verbotene ... in Fülle.
Diese Christbaumstimmung machte schnell einer anderen Platz, als sie jetzt auf den Betschemel niederkniete – Toni Delnitzky an ihrer Seite. Die Priester kamen aus der Seitentür und stellten sich an den Altar; vom knapp vor dem Brautpaar geschwungenen Weihrauchfaß qualmte der intensivste Kirchenduft empor und mahnte Sylvia an Begräbnisfeiern – begraben für ewig war ja auch die Mädchenzeit, war die Freiheit, war die Möglichkeit, das wunderbar volle Glück zweifelloser Liebe zu finden ... der Mann da neben ihr war ihr nicht Hort und Zuflucht; – erst gestern, während des Polterabends, hatte er Dinge gesagt, die ihr furchtbar mißfallen hatten – momentan hätte sie ihn beinahe hassen können ... zum Glück war nach solchen flüchtigen Regungen die verliebte Regung wieder desto wärmer aufgetaucht, aber das volle Vertrauen, das fehlte; das selige, schutzessichere Sich-schmiegen und Sich-kauern, das konnte sie an dieser Brust – da neben sich – nicht finden.
Das Kirchlein war dicht gefüllt. Oben seitlich vom Altar und in den vorderen Bänken die Verwandten und die Gäste in ihren glänzenden Uniformen und Toiletten, hinten die Beamtenschaft und die Dorfbewohner im Sonntagsstaat – gehobene Feststimmung auf allen Mienen. Auf Marthas Gesicht jedoch lag es wie Schmerz und Trauer. Das war man aber – bei feierlichen Anlässen – an ihr gewohnt. Wenn sie bewegt war, pilgerten ihre Gedanken stets zu ihrem geliebten Toten – das wußte man und ehrte man.
Die Traurede begann. Hätte Pater Protus sie gesprochen, so hätte er herzlichere und bewegendere Töne anzuschlagen gewußt. Der fremde, sehr klerikale Prälat hielt eine Predigt, die eher pro domo als für das junge Paar gehalten schien. Das heilige Sakrament der Ehe, so führte er aus, ist von Gott eingesetzt, denn es ist dem Bunde Christi mit seiner katholischen Kirche nachgebildet. Der Zweck der Ehe bestehe darin, daß sich die Eheleute gegenseitig im Glauben stärken und in der Ausübung ihrer religiösen Pflichten zu unterstützen haben, und daß sie eine Familie gründen, die, in echtem Glauben auferzogen, das Reich der Kirche immer mehr verbreite. Das Glück der Ehe ist nur zu erreichen, wenn beide Gatten eifrig beten und die Kirchengebote erfüllen; das Unglück so vieler Ehen rührt von dem leider so stark zunehmenden Indifferentismus her. Die Prüfungen und Krankheiten und Unglücksfälle, die keinem Menschenschicksal erspart bleiben, sind teils Strafen für Mangel an echter Religiosität, teils liebend auferlegte Prüfungen, aus denen man, wenn man gläubig und fromm ist, geläutert hervorgeht und dann zu einem gottgefälligen Tode gelangt, nach welchem die treuen Ehegatten im Himmel wieder zu ewiger Seligkeit vereint werden.
Was in dieser Traurede gesprochen wurde, darauf achtete übrigens die anwesende Gemeinde weniger, als daß eine solche gehalten ward und daß die darin enthaltenen Worte zu der Zeremonie gehörten, kraft welcher diese beiden jungen Menschenkinder zu unlöslicher Lebensgemeinschaft verbunden werden – daß sie einander Liebe und Treue schwören und sich nie verlassen sollen – nicht in Krankheit, nicht in Armut – bis der Tod sie trennt. Das ist's – einerlei, wohin die begleitende Beredsamkeit sich versteigt – was das Priesterwort besiegelt. Auch der Ringwechsel, sowie das dazu gesprochene »Ja« war so ein zauberkräftiges Verfahren, wodurch zwei vor einer Minute noch freie Menschen aneinander gekettet waren, wodurch der eine Teil sogar den bislang getragenen Namen verloren und einen neuen erworben hat.
Sylvia empfand diese Wandlung, die doch eigentlich nur eine ideelle ist, als wäre sie mechanisch vollzogen; wie ein Ruck überkam es sie, als sie das »Ja« gesprochen und den Ring am Finger fühlte: jetzt bin ich Sylvia Delnizky.
Vom Chor herab ertönte feierlicher, andachtsvoller Gesang. Die lateinischen Worte verstand man nicht, aber aus der süßen Melodie klang es wie eine fromme Bitte um Segen für das junge Paar. Eine gerührte Stimmung bemächtigte sich aller. Als die Sänger geendet hatten, ward der pro domo -Dienst wieder
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