Martha's Kinder
in Deinem Buch gefunden. Auch habe ich's ja selber – als Kind – gesehen, wie ihr beiden glücklich wart – und wie lieb ihr euch hattet. Ich bin aber auch Zeuge, wie Deine Liebe und Treue übers Grab hinaus bis heute jenem Andenken geweiht geblieben – ... was kannst Du da für Reue fühlen?«
»Daß ich – die ich doch durch ihn die ganze Fülle, die ganze, Heiligkeit ehelicher Liebe kennen gelernt, einer Liebe, die auf voller Seelenübereinstimmung gegründet war, daß ich seine Sylvia nicht auch einem solchen Glücke zugeführt habe – daß ich sie nicht dazu erzogen habe, nur dann ihre Hand zu vergeben, wenn sie zugleich auch unumschränktes Vertrauen, tiefbegründete Achtung schenken konnte... ich habe nicht meine Schuldigkeit getan, Rudolf... Ja, die Pläne, die mein Friedrich für das Wohl der Welt gehegt, seine Gedanken und Spekulationen die habe ich gehütet und der Öffentlichkeit übermittelt; – aber sein persönliches Werk, das er durch sein Herz geleistet hat, das tatsächliche häusliche Glück, das er geschaffen: auch das hätte ich als ein Vermächtnis hüten müssen und auf sein Kind übertragen. Die Lehren, die er gepredigt , die habe ich weiter gegeben, aber die Lehren, die er gelebt , die sind verschollen, durch meine Schuld – meine Schuld – meine Schuld ...«
Martha wiederholte dieses Wort, indem sie die Hände vors Gesicht schlug und in Weinen ausbrach.
Rudolf beugte sich liebevoll über sie:
»Nicht – nicht, Mutter! Du bist nur so angegriffen... das sind die Nerven. Es ist ja natürlich: die Trennung von unserer Sylvia – der entscheidende Schritt ... Aber der Toni ist ja kein böser Mensch – wer sagt Dir, daß sie nicht glücklich wird –?«
Martha trocknete sich die Tränen ab. »Ihre eigene Ahnung sagt es ihr. Wenn Du sie heute gesehen hättest, wie sie – knapp vor dem Kirchgang – mir weinend in die Arme fiel – –«
»Nun ja – das Abschiedsweh.«
»Nein – nicht Schmerz um das, was sie verließ – es war Furcht vor dem, dem sie entgegenging. Nein Rudolf, sprich mich nicht frei. Wenn man gefehlt hat, so ist noch das beste was man haben kann – die Reue.«
»Das finde ich nicht; besonders wenn sich nichts mehr ändern läßt. Nur die Reue ist fruchtbar, die neue Vorsätze, neue Taten nach sich zieht. Drum laß uns auf meine Selbstanklage zurückkommen. Ich kann ja gut machen, was ich gefehlt habe ... Und ich will es. Ich werde – die sind lustig da unten« – unterbrach er sich. Das Zimmer war über dem Salon gelegen und die Weisen eines Straußschen Walzers tönten jetzt herauf. Martha zuckte die Achseln: »Laß sie – warum sollten sie nicht? Hochzeitsstimmung ... die jungen Leute tanzen. Unter anderem, sag' mir, warum ist denn der junge Bresser nicht gekommen?«
»Ich weiß es zufällig: Weil er Sylvia liebte –«
»Was sagst Du da?!« rief Martha auffahrend.
»Du brauchst nicht zu erschrecken. Meine hübsche Schwester hat gar vielen Leuten den Kopf verdreht ... Hugo ist ein vernünftiger Bursch – er hat sich nie Hoffnungen gemacht ... Jetzt ist er abgereist ...«
»Ob der sie nicht vielleicht glücklicher gemacht hätte?« sagte Martha nachdenklich. »Als Mensch steht er jedenfalls höher als Delnitzky ... Aber diese blöden Standesvorurteile ... ich nenne sie blöde und habe sie doch selber ... ich glaube nämlich, daß das Verpflanzen aus einem gewohnten Kreis in einen anderen – niedrigeren – großes Mißbehagen verursacht ... Wenn man heiratet, heiratet man ja sozusagen die Familie, die Freunde des Gatten mit und muß den eigenen entsagen – das ist hart.«
»Der Vereinigung mit der geliebten Person zu entsagen, mag noch härter sein«, bemerkte Rudolf.
»Gewiß ... hätte Sylvia eine tiefe Neigung zu Bresser gehabt – so hätte ich mich nicht widersetzt. Auch zur Heirat mit Delnitzky habe ich nur ja gesagt, weil sie erklärte, so rasend in ihn verliebt zu sein.«
»Hoffen wir, daß sie es bleibt.«
»Ach ich glaube, sie ist's schon heute nicht ...«
Rudolf ergriff Marthas Hand:
»Hör' mich an, Mutter, wenn Dir Deine Tochter Sorge macht, so sollst Du wenigstens durch Deinen Sohn Genugtuung erleben. Ich will nun unsere Sache energisch anpacken. Nicht von Wahlergebnissen und sonstigen Zufällen soll das abhängen ... Ich muß mich auf mich selber stellen. Ich muß mich offen auflehnen – auch gegen meine nächste Umgebung – das ganze Milieu, in dem ich lebe, die ganze Gesellschaft, in der wir verkehren, ist auf dem Dinge
Weitere Kostenlose Bücher