Martha's Kinder
ausgebaut, das ich bekämpfen soll – auf dem Gewaltsystem . Damit meine ich nicht nur den Militarismus, gegen den Tillings Bestrebungen besonders gerichtet waren – damit meine ich die Gewalt in allen ihren Formen. Das Recht wird vergewaltigt, die Vernunft wird vergewaltigt –«
Martha schaute überrascht auf: »So leidenschaftlich kannte ich Dich garnicht.«
»Wenn Du an mir Leidenschaft auflodern siehst, Mutter, so versuche nicht, sie zu dämpfen. Ich war eben bis jetzt viel zu kalt und ruhig. Man muß heftig fühlen und heftig wollen – dann erst tut man etwas. Vielleicht scheitert man – das hängt von äußern Umständen ab – vielleicht erstürmt man keinen der festen Plätze, gegen die man anrennt –, aber wenigstens ist man Sturm gelaufen, und weist für Nachstürmende den Weg.«
»Was willst Du also tun?«
»Vor allem werde ich mich mit jenen Männern in Verbindung setzen, die an der Spitze der Schiedsgerichtsbewegung stehen, mit dem Engländer, dessen Brief Du in Dein Buch eingetragen –«
»Hodgson Pratt?«
»Ja. Dann in Paris mit Fréderic Passy, Jules Simon... In Rußland ... da werde ich an Tolstoi schreiben... Wer »Krieg und Frieden« verfaßt hat, der ist mit ganzer Seele ein Feind der Gewalt.«
»Und mit wem wirst Du bei uns ...?«
»Da will ich selber die Fahne aufpflanzen – die weiße Fahne. Hole wieder Deine roten Hefte hervor – ich will Dir, so gut ich kann, neues einzutragen geben.«
X.
Im Frühjahr 1892. Hugo Bresser war seit seiner plötzlichen Abreise in seine Heimat nicht zurückgekehrt. Einige Tage vor Sylvias Hochzeit war er nach Berlin gereist und dort hatte er sich ganz niedergelassen. In dem Brief, den er damals an Sylvia geschrieben und den sie an ihrem Hochzeitsmorgen verbrannte, war in glühenden Worten, in Versen und in Prosa seine ganze Leidenschaft niedergelegt gewesen. Wie er sie jahrelang hoffnungslos geliebt, wie erst in den letzten Tagen – trotz ihrer Verlobung – in jener Gewitterstunde eine Hoffnung in ihm erwacht war ... Sie mußte die Verlobung rückgängig machen, hatte er, der Wahnwitzige, vermeint ... es war Täuschung. Und so gehe er in freiwillige Verbannung – es sei ihm unmöglich, in dem Lande zu bleiben, wo sie an der Seite eines anderen lebte. Möge sie glücklich werden – ebenso glücklich, als er tief unglücklich ist. Nicht so unglücklich, daß er sterben müsse – nein, er wolle leben und streben in heißem Ehrgeiz, um einst den Beweis zu erbringen, daß es kein Unwürdiger war, dessen Liebe sich bis zu ihr erhoben hatte und der ein paar Stunden lang von dem Wahn beseligt gewesen, ihr Herz zu besitzen.
Jetzt nach zweieinhalb Jahren, hielt Sylvia wieder einen Brief Bressers in der Hand. Es waren nur wenige Zeilen, worin er anfragte, ob es ihm gestattet sei, während seines bevorstehenden kurzen Aufenthaltes in Wien der Frau Gräfin seine Aufwartung zu machen.
Sylvia saß mit ihrem Manne beim Frühstück, als dieser Brief ankam. Das junge Paar bewohnte den ersten Stock eines Ringstraßenpalais. Auf Delnitzkys Wunsch war man schon seit Oktober vom Lande nach Wien übersiedelt. Es war in ihm eine große Leidenschaft für die Oper erwacht. Zwei oder dreimal in der Woche nahm er seinen ständigen Sitz in der zweiten Parkettreihe ein.
Viele Leute bemerkten, daß Graf Delnitzky gerade an jenen Tagen unfehlbar in der Oper erschien, an welchen eine gewisse, wegen ihrer Schönheit und ihres Talentes vielgefeierte Primadonna beschäftigt war. Sylvia bemerkte das nicht – oder beachtete es nicht. In dieser kurzen Frist von zweieinhalb Jahren war ihre Liebe zu Delnitzky vollständig erloschen. Den ersten Schaden hatte diese Liebe schon auf der Hochzeitsreise erlitten, durch die jedes Hauches von Poesie, jedes Zartsinns entbehrende Art, in der der junge Ehemann seine Gattenrechte zur Geltung brachte. Er war leidenschaftlich in ihre Schönheit verliebt; aber diese Leidenschaft äußerte sich durch eine an Brutalität grenzende Heftigkeit. Das Feuer, das – durch mädchenhafte Scheu und keuschen Stolz gedämpft – in Sylvias jungen Sinnen geglüht, war durch solch rauhe Art vollends erstickt. Nicht die Schauer der Wonne hatte' er zu wecken gewußt, sondern eher den Schauer des Ekels eingeflößt; und ihr abwehrendes, im günstigsten Falle duldendes Verhalten unter den Ausbrüchen seiner erotischen Gewalttätigkeiten weckte in ihm das zornige» Urteil: »O, das zimperliche, kalte, temperamentlose Geschöpf!«
Nachdem der Gatte den
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