Martha's Kinder
klerikalen Ansichten halten und mich nach meinen Vorgesetzten richten. Im übrigen ist mir das alles egal ... Wird der junge Bresser jetzt im Lande bleiben und sich redlich nähren?«
»Ich sagte Dir – er kommt nur auf kurze Zeit« – sie schob den Brief hinüber: »Lies selber.«
Anton machte eine abwehrende Bewegung. »Es interessiert mich nicht ... der ganze Mensch interessiert mich nicht mit seinem sogenannten »schriftstellerischen Beruf«, von dem sein Vater immer so langes und breites erzählt.«
In der Tat: im Hause Tilling war man über die Schicksale des jungen Bresser durch die Mitteilungen des Doktors stets auf dem Laufenden geblieben. Man hatte erfahren, daß sich Hugo in Berlin in die Schriftstellerkreise eingeführt hatte, daß er rastlos produzierte und sowohl mit einem Roman, der in einer angesehenen Rundschau erschienen war, als mit einem Drama, das eben die Runde über sämtliche deutsche Bühnen machte, große Erfolge errungen hatte.
»Übrigens, wenn er kommt,« sagte Delnitzky aufstehend, »lad' ihn zum Essen ein ... Ich geh' jetzt ...«
Sylvia fragte nicht »wohin« – sie nickte einfach »Adieu!«
Allein geblieben, las sie noch ein paarmal die wenigen Zeilen durch. Die Physiognomie der Schrift war es, was sie daran fesselte – denn sie brachte ihr deutlich jenen verbrannten Brief und die – nicht unangenehme – Sensation ins Gedächtnis, welche ihr damals der Brief verursacht hatte. Eigentlich war es eine Kühnheit von dem Bresser, sich jetzt bei ihr anzumelden, als wäre nichts geschehen ... Sollte sie ihn empfangen?... Warum nicht? Die Schwärmerei von damals war ja sicherlich vergessen. Sie hatte selbst erfahren, wie die Zeit – eigentlich kurze Zeit – gar tiefe Wandlungen in verliebte Gefühle bringen kann. Und nun gar bei einem jungen Mann – einem gefeierten Autor ... der hatte in Berlin sicher mehr als ein Liebesverhältnis angeknüpft und dachte garnicht mehr an jene wesenlose Episode ... Empfinge sie ihn nicht – den Sohn des alten Hausfreundes – so wäre das auffallend. Und er selber könnte sich's auslegen, als fürchte sie sich vor ihm – und wahrlich, das lag ihr fern.
So ging sie an ihren Schreibtisch und antwortete: Es werde sie und ihren Mann sehr freuen, Herrn Bresser wiederzusehen und von seinen Erfolgen berichten zu hören. Er möge, damit man gemütlicher plaudern könne, zur Speisestunde, sechs Uhr, kommen, und zwar am nächsten Donnerstag, da erwarte sie auch ihren Bruder, der sich gewiß ebenso freuen würde, ihn zu treffen.
Und am nächsten Donnerstag, zehn Minuten vor der angegebenen Stunde, fand sich Hugo Bresser in der Delnitzkyschen Wohnung ein. Das Herz klopfte ihm, als er das Vorzimmer betrat. Ein Diener nahm ihm den Überrock ab. Vor dem Spiegel zupfte er die weiße Krawatte zurecht und überzeugte sich, daß die Gardeniablüte im Knopfloch seines Fracks gut befestigt war.
Der Diener ging voran und führte den Gast durch zwei große, nur schwach erleuchtete Salons in einen dritten, kleinen, wo die Hausfrau laß – allein.
Sylvia, in einfacher, heller Seidengaze-Toilette, kam Hugo ein paar Schritte entgegen und reichte ihm die Hand, die er ehrerbietig küßte.
»Herzlich willkommen, Herr Bresser! Wie Sie sich aber verändert haben! – Vorteilhaft verändert«, fügte sie lächelnd hinzu.
Sie sagte die Wahrheit. Hugo, der jetzt einen spitzgestutzten Bart und in der Mitte gescheiteltes Haar trug, hatte ein verändertes und vorteilhafteres Aussehen. – Auch in seinem Gesichtsausdruck, in der eleganten Sicherheit seines Auftretens war etwas Neues, etwas, das er den Erfolgen zu danken hatte, durch die er zu einem gefeierten Liebling der Berliner Gesellschaft geworden war und durch die er an Selbstbewußtsein gewonnen hatte.
Sylvias äußere Erscheinung war unverändert. Auf den ersten Blick und nach den ersten getauschten Worten fand Hugo jenes gewisse Etwas in ihren Zügen wieder, das er daran geliebt hatte – ein eigener Zauber, der, wenn sie sprach und lächelte, um ihre, die kleinen perlenweißen Zähne aufdeckenden Lippen huschte.
Die innere Bewegung dieses Wiedersehens verdeckten beide durch ein beinahe überhastetes Fragen und Antworten über die banalsten Gegenstände: »Wann sind Sie angekommen? – Wie lange bleiben Sie? – Wie gefällt es Ihnen in Berlin?« Und seinerseits: »Wie geht es dem Grafen Delnitzky, wie der verehrten Baronin Tilling? – Hatte die Frau Gräfin einen angenehmen Aufenthalt an der Riviera gehabt und
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