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Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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Felde ... er siegt ja noch auf so vielen anderen. Zum Beispiel hat er die Höhlenmenschen abgeschafft und an deren Stelle Kolnosse gesetzt.«
    »Ein magerer Gewinn«, gab mein Freund zur scherzenden Antwort.
    Seit jeher haben Bücher in meinem Leben die Rolle von Ereignissen gespielt. Wie haben in meiner Jugend Darwin und Buckle auf mich gewirkt, und vor kurzem noch Tolstoi mit seinem »Das Reich Gottes ist in Euch.« Weil ja solche Bücher mir als etwas noch ganz anderes sich offenbaren, denn als wissenschaftliche und literarische Erscheinungen: Fackeln sind sie mir, ganze, dunkle Gebiete plötzlich erhellende Fackeln. Und die sie schwingen: ganze Menschen, mit ganz lichterfüllten Seelen ...
    Vor einiger Zeit fiel mir eine Schrift in die Hand, die mir Ereignis – ein frohes Ereignis ward. Nicht so sehr, was der Verfasser darin schrieb, hat mich erschüttert, als daß er es schrieb; daß einer den edlen Mut hatte – möge es ihm auch seine Stellung kosten – das hinauszurufen, was seinen nach Wahrheit dürstenden Geist erfüllt. Nur ein dünnes Heftchen: »Ernste Gedanken« von Moritz von Egidy. Das Aufsehen war groß. Egidy, Oberstleutnant bei den Husaren im preußischen Dienst, hat seinen Abschied erhalten. Und nun – wird er die Kraft dazu haben? – will er sich ganz der Aufgabe widmen, das auszubauen – in sich selber und für die Mitwelt, was er als Heilslehre in die Worte zusammenfaßt: »Religion nicht mehr neben dem Leben – unser Leben selbst Religion.« In rascher Folge kam nun eine Schrift nach der andern. Er zieht immer mehr die Konsequenzen seiner ersten Ideen; der Horizont der Gedanken weitet sich, das »Ernste Wollen« ward immer inbrünstiger. Es ist eine Lust, daß solche Menschen leben. Jubeln wollte ich, daß – –
    Lust, Jubel? Habe ich, die Beraubte, diese Worte niedergeschrieben? Gibt es denn noch für mich die Möglichkeit, zu frohlocken? Drängt sich nicht gleich zu jeder freudigen Regung der trübe, dämpfende Gedanke: Er ist nicht mehr da, die Freude zu teilen ... Möge die Welt auch noch so herrlich sich gestalten, mögen Schätze und Wonnen, wie aus Füllhörnern, über sie sich ergießen: die schwarze Leere, in die mein Liebstes versunken, für mich bleibt sie leer und schwarz ... ein Abgrund ohne Boden. Wie man einen Stein in die Tiefe wirft, um zu lauschen, wann er auf den Boden fällt, so lasse ich manchmal meine Empfindungen – Kummer und Freude – in jenen Grabesabgrund fallen und horche hin ... »Friedrich – was sagst Du zu diesem Egidy?« – Nichts Stumm – auf ewig.
    »Liebe Martha«, sagte mir neulich eine alte Cousine, »ich begreife Dich nicht ... immer finde ich Dich in Zeitschriften und Bücher vertieft und alles Neue, was in der Welt auftaucht: Dichtungen, Erfindungen, »Bewegungen« – das greifst Du auf und erwärmst Dich dafür, auch wenn es noch so illusorisch ist. – Dabei behauptest Du doch, Du, hättest mit dem Leben abgeschlossen. Woher dieser Widerspruch? In unserem Alter hat man ja auch mit dem Leben abgeschlossen, selbst wenn man keinen solchen Trauerfall erlebt hat wie Du. Da hat man doch nur mehr ein Interesse: das Schicksal seiner Kinder und Enkel.«
    Meine gute Cousine ist siebzig Jahre alt und ich höre es gar nicht gern, wenn sie mir, der um ungefähr zwanzig Jahre jüngeren, sagt: »in unserem Alter«. Zudem kümmert sie sich – nebst ihren Kindern und Enkeln – noch gar lebhaft um gar mancherlei Dinge, als da sind: Bekehrung kleiner Neger und Chinesen; die Wunder von Lourdes; die Wiederherstellung der weltlichen Macht des Papstes und dergleichen mehr. Darauf wies ich in meiner Entgegnung hin.
    »Ja«, sagte sie, »die Relichion (unsere besonders Frommen sprechen das Wort so aus), das ist etwas anderes.«
    »Meinst Du? Ich meine, es ist dasselbe ... es ist nämlich der Drang, für etwas Größeres, Höheres zu fühlen und zu wirken als für die Nächstliegenden eigenen, oder der eigenen Kinder Interessen.«
    »Aber, liebes Kind ( à la bonne heure , das höre ich lieber als »in unserem Alter«), wie kannst Du nur vergleichen – der eitle, irdische Tand und die ewige Seligkeit?!«
    Ich sprach von etwas anderem. Gerade so, wie ich es in meiner Jugend mit Tante Marie zu tun pflegte, wenn sie das Thema »Bestimmung« zu variieren begann. Die Cousine hätte mich doch nicht verstanden, wenn ich ihr hätte auseinander setzen wollen, daß es das gleiche Streben nach Seligkeit, nach Erlösung, nach dem »Heil« ist, was diejenigen erfüllt, die

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