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Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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geführt. Ist ja ein viel zu schwaches, leistungsunfähiges Instrument, diese Sense ... einfach nur für Handarbeit zu brauchen; – das menschliche Ingenium hilft da auch, mit bei Krupp und Konsorten fabrizierten Mähmaschinen. O über die bodenlos wilde Unvernunft, Krieg genannt – die muß niedergekämpft werden ... Wieder zu meiner fixen Idee abgeschweift? Das sind Sie ja an mir gewohnt, teurer Freund. In den feierlichen Stunden der großen Freude und besonders der großen Leiden flüchtet jede Seele zu dem, was ihr als Höchstes gilt.
    Sie werden bei Ihrer Rückkunft Rudolf nicht antreffen. Er ist auf einer vom Arzt verordneten Reise – zur Zerstreuung, zur Ablenkung, sagte Doktor Bresser – ach, ich fürchte, er hat seinen Kummer als Reisegefährten mitgenommen. Sylvia finden Sie noch in Wien. Auch Sylvia macht mir Sorge – das erzähle ich Ihnen mündlich. Ich bin allein in Brunnhof. Vielleicht besuchen Sie mich.«
    Auf der in einen Garten umgewandelten Terrasse eines Berner Hotels saß Rudolf Dotzky und blickte nachdenklich auf das von der. Abendsonne überstrahlte Alpenpanorama.
    Um ihn herum war reges Leben. Zahlreiche Hotelgäste saßen um kleine Tische, andere gingen plaudernd auf und nieder oder lehnten an der Balustrade – eine bunte Gesellschaft aus aller Herren Länder. Rudolf, der seit einer Woche hier weilte, hatte mit niemand Bekanntschaft angeknüpft. Er war auf Reisen gegangen, um eine Zeitlang einsam zu sein, und einsam war er auch geblieben. Er hatte nun, eine nach der andern, fast alle Städte der Schweiz besucht und Bern sollte die letzte Etappe vor seiner Heimfahrt sein.
    Angeblich war der Zweck seiner Reise Zerstreuung gewesen, aber was er gefunden hatte, war vielmehr das Gegenteil – war Sammlung. Ein Gedanke, der ihm den Kopf durchkreuzt an dem Tage, da er die Gruft verließ, in die man die Särge seiner Frau und seines Sohnes versenkt hatte – dieser Gedanke hatte ihn während seiner Reise nicht mehr losgelassen und war allmählich zum Entschluß gereift: dem Majorat entsagen.
    Frei sein, ganz frei sein, nicht mehr zweien Herren dienen müssen, oder gar dreien: Familie, Ranggenossen und Menschheit. Nein, fortan nur mehr den einen Dienst: den Menschheitsdienst. Frei für die Zukunft, und frei von den Fesseln der Vergangenheit.
    Frei? ... Als ob bei der bestehenden Ordnung irgend ein Mann sich frei nennen dürfte! Mit dem Worte wird lächerlich großgetan. Rudolf wußte ganz gut, welche Fesseln ihn noch banden und die abzustreifen es überhaupt keine Möglichkeit gab. Er war ja – wie jeder gesunde Bürger im Militärstaat – Soldat. Zwar nur achtundzwanzig Tage im Jahre, aber immerhin – Soldat. Und im Kriegsfall jederzeit verpflichtet, einzurücken. »Verpflichtet« ist da auch nicht der ganz passende Ausdruck – unter Pflichterfüllung denkt man sich eine als recht erkannte, freiwillig ausgeübte Tat. »Gezwungen« wäre das richtige Wort. Man hat ja keine Wahl – man muß. Und mag man den Militärdienst aus was immer für Gründen hassen – man muß ihn verrichten. Auf Verweigerung steht Gefängnis und Tod. Und da wagt man, von mehr oder minder ausgedehnten Freiheiten zu reden? Leibeigenschaft und Sklaverei: das war einstens das Los eines Teils der Bevölkerungen; heute, in den Ländern der allgemeinen Wehrpflicht, ist es das Los aller.
    Aber was von Fesseln abzustreifen möglich war, das wollte er tun. Dem Majorat entsagen. Mit einem Ruck wäre da die ganze Last der Verwaltungs- und Repräsentations- und sonstiger Pflichten abgewälzt, die ihm seine bisherige Stellung auferlegt und ihn gehindert hatten, sich ganz seiner großen Lebensaufgabe hinzugeben – der Aufgabe nämlich, ein Lehrer, ein Kämpfer, ein Apostel zu sein. Mit Schrift und Wort wollte er seinen Mitmenschen das neue Gesellschaftsideal vor die Seele führen. Das, was er schon verstand, wollte er den anderen verständlich machen und zu dem, was ihm und den anderen noch zu erforschen blieb, wenigstens den Weg weisen. Man kann nicht gleich gefunden haben – erst muß man überhaupt suchen lernen.
    Dem Majorat entsagen ... es war kein kleiner Entschluß. Aber er empfand ihn nicht als etwas Schweres – eher als etwas Erleichterndes. Als abgeworfenen Ballast zum Höherfliegen. »Unser ganzes Kunststück besteht darin«, sagte Goethe, »daß wir unsere (bornierte) Existenz aufgeben, um (in erhöhter Weise) zu existieren.«
    Es blieb ihm übrigens genug Vermögen, um sorgenlos leben und bequem reisen zu können.

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