Martha's Kinder
das alte Plätzchen ... Erinnerst Du Dich – zum letzten Male saß ich so – am Tage, da ich mich heimlich verlobt hatte ...«
»Ja, ich erinnere mich – Du legtest mir damals eine Art Beichte ab.«
»Ja, Beichte. Meine Liebe war nicht sündenfrei –«
»Das ist sie auch heute nicht, Sylvia –«
»Ich liebe ihn ja nicht mehr, dem Himmel sei's geklagt. Nun weißt Du es – ich dachte, Du müßtest es schon längst wissen, doch Dir und mir habe ich das Peinliche ersparen wollen, das in solcher Aussprache liegt.«
»Ich hatte Dich damals gewarnt – Du wolltest nicht auf mich hören – warst leidenschaftsbetört, »eine verliebte Natur« nennt man das – une grande amoureuse – wie's in den französischen Romanen heißt. Aber ich wiederhole es, Deine Liebe ist nicht sündenfrei –«
»Und ich wiederhole: sie ist ja erloschen.« »Für Toni ja – und das verstehe ich. Doch –« Sylvia zuckte lebhaft zusammen unter der Hand, die auf ihrem Scheitel lag.
»Also auch das hast Du erraten?« sagte sie bebend.
»Auch das ... Ich beschwöre Dich, mein Kind, empfange diesen jungen Mann nicht mehr ... Du bist Friedrichs Tochter ... nicht anders als in Reinheit darfst Du durchs Leben gehen.«
Eine leise Revolte stieg im Innern des jungen Weibes auf: war sie nicht vor allem sie selbst – und erst in zweiter Linie die Tochter von diesem oder jenem? Aber auch sie selbst ... wenn sie gleich in Bewunderung zu dem jungen Dichter erglühte – hatte sie denn je daran gedacht, ihrer Reinheit etwas zu vergeben? Bresser zum Geliebten –? Der Gedanke stieg ihr da zum ersten Male auf, als etwas heiß Verwirrendes, Beschämendes, – etwas das zu verjagen war, das man nicht ausdenken durfte – –
Martha sprach weiter: »Dein Vater ist tot – aber sein Werk lebt fort: wir drei: Rudolf, Du und ich sind dessen Erben und Hüter. Kein Schatten darf auf die Ehre unseres Namens fallen, denn solcher Schatten würde auch unsere Sache verdunkeln. Aber nicht der Sache – auch Deiner selbst willen, Sylvia, beschwöre ich Dich: geh in Reinheit durchs Leben!«
»Das will ich ja«, antwortete Sylvia mit erhobenem Haupt.
XVI.
Martha an Graf Kolnos.
Brunnhof, Mitte Juni 1891: Lieber Freund!
Zufällig habe ich Ihren jetzigen Aufenthalt und Ihre Adresse erfahren. Sie sind schon auf dem Rückweg und kommen wohl bald hier an. Nach anderthalbjähriger Abwesenheit!
Sie wissen nicht, was inzwischen geschehen. In meinem Hause hat sich Trauriges – furchtbar Trauriges zugetragen. Und Sie sollen es zuerst durch mich erfahren – daher schreibe ich Ihnen. Sie sind mein Freund und Rudolfs Freund – Ihrer Teilnahme bin ich sicher.
Der Tod ist bei uns eingebrochen. Zweimal. Zuerst mein Enkelkind – Friedrich. Zwei Tage nur war der arme Kleine krank. Ein harter Schlag für uns alle. Was mit solchen Kindern stirbt, ist nicht nur das gegenwärtige liebe herzige Wesen selber – es sind die ganzen Träume, die man für die Zukunft geträumt ... Der Erbe des Dotzkyschen Majorats, der Nachfolger meines Sohnes, wäre er nicht auch geistig sein Nachfolger geworden und hätte das Werk weitergeführt, das Rudolfs Lebensaufgabe ist? Und alles das durch ein paar Konvulsionen des kleinen Körperchens aus der Zukunft weggewischt!
Rudolf war sehr unglücklich. Beatrix, die eben einer zweiten Niederkunft entgegensah, war ganz verzweifelt. Und jetzt kam der zweite Schlag. Eine Fehlgeburt und – auch Beatrix ist tot.
Sie können sich meines Sohnes Schmerz wohl vorstellen. Er hatte sein Weibchen unendlich lieb – sie war auch ein gutes, liebes, hübsches Geschöpf ... er beweint sie innig. Diese beiden, so kurz auf einander folgenden Verluste haben ihn ganz schwermütig gemacht.
Er wird sich wieder aufraffen. Sein Alles war ihm Beatrix nicht. Er ist jung, ich sehe die Zeit kommen, da er sich eine neue Häuslichkeit gründen wird. Aber als ich ihm neulich so etwas sagte, wehrte er heftig ab.
So, nun wissen Sie, mein alter Freund, daß Sie in uns ein paar recht gedrückte, traurige Leute wiederfinden. Mein holdes Enkelkind, daß den so teueren Namen Friedrich trug – war mir gar fest ans Herz gewachsen ... Der Tod, der Tod ... wie wandelt der doch so grausam unter uns herum und knickt die Blüten unseres Glücks ... Was mir unter seiner Sense gefallen – ich denke immer noch an 1871 – das hat mich eigentlich gegen seine Hiebe abgehärtet. Damals war es nicht einmal sein Hieb, nicht er hat ausgeholt – menschliche Barbarei hat ihm die Sense
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