Martha's Kinder
Die großen Einkünfte, die das Dotzkysche Majorat abwarf, die gingen ohnehin für die mit dem Besitz verbundenen Verwaltungs- und Repräsentationskosten auf: Der Dienertroß, die gefüllten Pferdeställe, die zur Institution gewordenen gastlichen Veranstaltungen usw. Der Reichtum, dem er entsagte, hätte doch niemals zur Förderung seiner Zwecke dienen können, im Gegenteil: ihn nur physisch und moralisch an deren Erreichung gehindert. Physisch, indem er seine Zeit und Kraft in Anspruch nahm; moralisch, indem es unmöglich ist, sich für soziale Umwälzungen, für Abschaffung mittelalterlicher Zustände einzusetzen, wenn man seine eigene Existenz auf eine so feudale Einrichtung aufbaut, wie einen Fideikommißbesitz.
Hätte Rudolf das gleich große Vermögen als frei verfügbares Privateigentum besessen, dann würde er nicht darauf verzichtet haben, denn dann hätte er es in einer zu seinen Plänen und Anschauungen passenden Art verwenden können: z. B. zur Gründung von Volksbibliotheken, von einem großen Blatte und ähnlichen Dingen. Aber ein Vermögen, das unverkürzt und unversehrt für den nächsten Anwärter erhalten bleiben mußte – das konnte ihn in seinem Wirken nicht fördern – nur hemmen.
Daß der geplante Schritt in seinen Kreisen Ärgernis geben und bei allen Standesgenossen – mit Ausnahme des begünstigten Vetters – Tadel erfahren würde, darauf war er wohl gefaßt. Die Bemerkungen konnte er schon hören, die darüber fallen würden: »Immer ein überspannter Kopf gewesen, dieser Dotzky ... Mir war er immer unheimlich ... Im Grunde ist es nicht nur zu dumm – es ist ein Verrat an seinen Standespflichten. – Statt den Platz auszufüllen, auf den ihn sein Geschick gestellt hat, in die Welt hinauslaufen und revolutionäre Doktrinen predigen, wie der erste beste Demagogenführer – eine wahre Schande!« und was die Variationen des alten »Kreuziget ihn!« mehr sind.
Übrigens: Revolution zu predigen, war gar nicht seine Absicht. Man würde es nur so deuten – auf falsche Deutungen allenthalben war er überhaupt gefaßt. Die einzige Person, bei welcher er überzeugt war, volles Verständnis und Beifall zu finden, war seine Mutter. Nächster Tage wollte er ihr schreiben. Seinen Aufenthalt in der Schweiz beabsichtigte er noch zwei oder drei Monate auszudehnen. Hier konnte er in aller Ruhe und Abgeschiedenheit die Arbeit vollenden, die er – wie es Egidy mit seinen »Ernsten Gedanken« getan – in die Welt schicken wollte, ehe er mit dem gesprochenen Wort, in eigener Person hinausginge, das Geschriebene zu vertreten und zu verbreiten. Ehrgeiz war es nicht, was ihn trieb – Frömmigkeit war es. Das Bewußtsein, eine höchste Pflicht erfüllen zu müssen, durch deren Erfüllung man sich selber heiligt und anderen zum Heile verhilft, das ist es, was alle tieffrommen Seelen erfüllt, was zum Beispiel einen Franz von Assisi bewegte, aus einem reichen Lebemann zum Asketen zu werden. Solche Dotationen sind nicht immer natürliche Anlage; sie erwachen oft – wie dies ja auch beim Stifter des Franziskanerordens zutraf – nach einem in ganz anderer Richtung geführten Lebenswandel. Rudolf hatte zwar seit seiner Kindheit die Idee in sich getragen, daß er die von seinem Stiefvater hinterlassene Aufgabe einst werde übernehmen müssen, aber ganz durchdrungen davon war er lange nicht gewesen. Er sah die Ausführung immer nur wie eine Zukunftssache vor sich, während die Gegenwart ihm mit hundert anderen Interessen erfüllt war. Erst nach und nach, infolge gewisser Studien und durch die Berührung mit gewissen vom Aposteltum durchglühten Zeitgenossen, erfaßte auch ihn ein immer heftiger werdender Drang, sich dem ganz hinzugeben, was ihm zur Religion geworden; hinauszugehen und zu predigen, was sein Glaube war, und zu bekämpfen, was ihm als verdammenswerte Ketzerei erschien. Andachtsvoll, hingebend, voll begeisterter Liebe, voll Ehrfurcht für das Göttliche, das ihm vorschwebte, voll Abscheu gegen das Böse, Gemeine und Jammervolle, das die Umwelt ihm noch an allen Ecken und Enden zeigte, das war nunmehr die Verfassung seiner Seele; – dieselbe Verfassung also, die man – wenn auch mit Bezug auf eine andre Glaubenswelt – mit dem Ausdruck Frömmigkeit zu bezeichnen pflegt. Dieselbe Frömmigkeit, die auch Marthas Seele durchglühte.
In tiefes Nachdenken versunken saß er da. Doch war es kein Denken in klaren Worten oder deutlichen Bildern, sondern mehr in Empfindungen. Nicht verkettete Ideen,
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