Martha's Kinder
seinen Gedanken nachzuhängen.
Er suchte sein einstiges Arbeitszimmer – das Harlekinzimmer – auf. Es war schon halb ausgeräumt, die ihm persönlich gehörenden Bücher und Bilder in herumstehenden Kisten verpackt. Der Raum war durch eine Ampel von mattem Glas nur schwach beleuchtet. Dagegen sah man durch das unverhüllte breite Fenster hellen Mondenschein. Rudolf trat hin und lehnte die Stirn an die Scheibe. Wie zauberhaft lag da der Park seines schönen Brunnhof ... Nein, nicht mehr sein Brunnhof. ... Das war ja der Gedanke, den er ausspinnen wollte, das war das wehmütige Bewußtsein, das ihn beschlichen hatte: vorbei!
Zwischen seinem alten Leben, und dem, dem er jetzt entgegenging, war nunmehr wie ein eiserner Vorhang herabgerollt. Und ein Abgrund war gegraben, zwischen ihm und den meisten Menschen, mit denen er durch verwandtschaftliche oder gesellschaftliche Bande verbunden gewesen. Vorbei die kameradschaftliche Gemeinschaft mit seinen Standesgenossen; vorbei die huldreiche Freundschaftlichkeit der Spitzen des Landes,– vorbei die ehrerbietige Hingebung seiner zahlreichen Beamten- und Dienerschaft; vorbei diese ganze Machtstellung, die aus dem Chef eines adeligen Majorats einen kleinen Potentaten macht ... dem allen ein ewiges vale – –
Aber auch intimeres Abschiedsleid erfaßte ihn. In diesen Mauern, die er nun verließ, hatte sein häuslicher Herd gestanden. Auf dem Plätzchen da unten im Park unter der großen Linde, wie oft hatte er da die Wiege seines Söhnchens gesehen und darüber gebeugt, die holdselige Gestalt der jungen Mutter. Diesen Besitz freilich, dem hatte er nicht selber entsagt, den hatte ihn der Räuber Tod entrissen – aber es wäre ihm ja so leicht möglich gewesen, sich auf demselben Grund einen neuen Herd zu bauen, dem Hause eine neue Herrin zu geben – dem Stammsitz einen neuen Erben. Diese Möglichkeit war durch seinen Verzicht nun abgeschnitten.
Ein schwerer Seufzer hob seine Brust. So deutlich, so fest umrissen, so wirklich waren die Dinge, denen er entsagte, und so unsicher, so nebelhaft die Ziele, denen er entgegenstrebte. Nein, nicht die Ziele – die leuchteten ihm klar in Leitsternlicht, aber die dahin führenden Wege, die waren das unsichere.
Eine Hand legte sich sanft auf seine Schulter. Er wandte sich um.
»Du, Mutter?«
»Ich dachte wohl, daß ich Dich hier finden würde, mein Rudolf. Aber ich störe Dich vielleicht?«
»Ach nein ... Dich, gerade Dich jetzt hier zu haben, tut mir wohl. Denn Du bist die Einzige, die mich ganz verstehen kann ... auch in Anwandlungen der Verzagtheit ... verstehen und aufrichten.«
»Bist Du verzagt, weil die da unten Dich nicht verstanden haben? Wenn sie Dich verständen, wäre es da überhaupt nötig, als Lehrer und Kämpfer hinauszuziehen?«
»Hinaus, hinaus ins Dunkle, ins Kalte ...«
»Um in das Dunkel Licht zu tragen ... Aber kalt – ja, da hast Du wohl recht – unter den Fremden, unter den Massen weht es einen eisig an – und nur eines kann Wärme und Kraft geben –«
»Was ist das eine?« fragte Rudolf, da Martha inne hielt.
»Man muß das Herz voll Liebe haben ...«
»Für die Fremden? Für die eisigen Massen?«
»Nein, für ein nahestehendes, ebenso warm liebendes als geliebtes Wesen.
»Das besitze ich an Dir, Mutter.«
»So meine ich's nicht. Es muß die andere, die zärtlich glühende Liebe sein. Die gibt auch Kraft ... Das unendliche Glück, das dieses Gefühl im Besitz, die unendliche Trauer, die es im Verlust einflößt, die lassen einen erkennen, daß alles, alles daran gesetzt werden muß, den Haß aus der Welt zu schaffen. Glaube mir: Friedrich und ich haben nur darum so heftig den Drang empfunden, für die Erlösung der Mitmenschen von der Geißel des Hasses zu wirken, weil wir einander so übereinstimmend lieb hatten. Du hast Weib und Kind verloren – bist gar so einsam, mein armer Rudolf ... Und selbst in der Ehe bist Du einsam gewesen ... Ich weiß ja, daß Beatrix nicht das Wesen war, das Deine Seele ganz ausfüllen konnte. Wie wünschte ich Dir, daß –«
»Nein«, unterbrach er, »ich will nicht wieder heiraten. Ich will frei sein, ganz fessellos –«
»Um Dich in den Sturm hinauszustürzen? Wieviel besser kann man das, wenn man weiß, daß man jeden Augenblick in den Hafen zurückkommen kann. Ja, Hort und Schutz und Panzer – alles das ist die Liebe – die beglückte und die trauernde. Noch jetzt ist mir der reichste Besitz die Erinnerung an meinen Toten. Dir, Rudolf, ist das Leben
Weitere Kostenlose Bücher