Martha's Kinder
trete und vor versammeltem Volke spreche, dann werde ich nicht dasselbe Thema wählen, das ich nun vor Ihnen erörtern will – das Thema meiner Abtrünnigkeit. Gerade diesem Kreise hier – Verwandte, Jugendfreunde, Standesgenossen – glaube ich, solche Erörterungen schuldig zu sein ... »Der Mensch ist verrückt!« – so wird wohl das erste zusammenfassende Urteil sein, welches von einem Teil der hier Anwesenden, und von den meisten der nicht anwesenden Angehörigen unserer Gesellschaftskreise über meinen Entschluß gefällt werden wird – das weiß ich. Nun, so will ich Ihnen wenigstens gesagt haben, worin die Methode besteht, die in meinem Wahnsinn steckt.«
Nach kurzer Sammlung fuhr er fort:
»Zwei Kräfte sind es, die den Gang der menschlichen Kultur bewegen und regeln: die vorwärtstreibende und die hemmende Kraft – der Fortschrittsdrang und der Erhaltungstrieb. In der Politik haben diese beiden die Namen Liberalismus und Konservatismus angenommen; – aber damit ist nur eine ganz enge Sphäre bezeichnet, in der diese Kräfte sich betätigen, deren Spiel die ganze Welt – Natur und Geist, – von allem Anfang an geformt hat und in aller Zukunft weiter formen wird.
So stark und so bewußt wie in unserer Gegenwart sind – so scheint es mir – diese Gegensätze noch nie hervorgetreten, und da heißt es: Farbe bekennen. Man kann ja auch ganz abseits stehen bleiben, sich nicht kümmern um das, was vorgeht, und nur seinen eigenen, engsten Interessen leben –, das tun auch gar viele. Aber diese Vielen – ohne es zu wissen – helfen doch der einen der streitenden Kräfte: eines der wirksamsten Elemente des Beharrungsvermögens ist ja die Trägheit.«
Mit dem niemals täuschenden Instinkt, der dem Redner zum Bewußtsein bringt, was die Zuhörerschaft empfindet, wurde Rudolf gewahr, daß ein leiser Hauch von Gelangweiltsein, von mißmutigem Unverständnis über die Tischgesellschaft wehte. Daß aber einige da waren, darunter seine Mutter, die ihn ganz verstanden und mit Spannung an seinen Lippen hingen, das wußte er auch, und für diese sprach er unbeirrt weiter:
»Ich bin nicht abseits gestanden. Ich habe hineingelauscht in den Kampflärm und wurde von dem Drang erfaßt, mich mitkämpfend zu beteiligen. Mein Stand, meine Stellung, meine persönlichen Vorteile und Interessen würden erfordern, daß ich mich auf seiten derjenigen stelle, die das Bestehende verteidigen. Doch das kann ich nicht: mein Gefühl, meine Einsicht und (mit einem Blick auf seine Mutter) eine als Erbe übernommene Mission treiben mich in das andere Lager. Um also ehrlich und frei zu sein, bleibt mir nichts übrig, als meine Stellung und mein Interesse aufzugeben – und das habe ich getan. Zu den Dingen der alten Ordnung, die ich perhorresziere, gehört zum Beispiel auch die Einrichtung der Majorate – es ist daher ein gerechtfertigter, mehr noch, ein gebotener Schritt, daß ich dem Majorat entsage – und das habe ich getan.«
»Bravo!« rief Max. Und Feldzeugmeister von Rels sekundierte. Dieser Zug von Rudolfs Verrücktheit war seinem Besitznachfolger und dem Vater der künftigen Herrin von Brunnhof jedenfalls sympathisch. Auch Elsbeth hätte gern in den Beifall eingestimmt, doch war sie zu schüchtern dazu. Sie schwamm in traumhafter Glücksstimmung – war es doch wie ein Traum, daß ihr nun plötzlich alles zugefallen: der Geliebte, die wunderbare Herrschaft, der umgebende Luxus ... sie hätte vor Rudolf niederknien mögen, um ihm zu danken. Ein Narr? das ist zuviel gesagt – ein Schwärmer, ein edler Schwärmer – und Gott sei Dank, daß er nicht vernünftiger war! ... »Ihr Bravo, Exzellenz«, wandte sich Rudolf an Herrn von obenan der Militarismus gehört. Und nicht nur, wie das unsere matten Liberalen hervorkehren, die Auswüchse und Übertreibungen des militaristischen Systems, sondern das organisierte Totschlagen als Rechtsmittel überhaupt . Das will ich fortan in aller Offenheit hinaussagen, ohne Umschweife – auch einem Feldzeugmeister ins Gesicht. Nur der ist frei, der das sagt, was er denkt. Mit der Abdankungsurkunde habe ich mir ein Stück Freiheit erkauft. Ich benutze sie.
»Bravo!« riefen Kolnes und Bresser.
Herr von Rels sprang auf: »Verzeihen Sie –« begann er mit erregter Stimme.
Aber die andern riefen: »Nicht unterbrechen!« und der General ließ sich wieder auf seinen Sessel nieder.
»Verzeihen Sie mir, Exzellenz«, sagte Rudolf, »ich habe Sie nicht verletzen wollen. Was man gegen eine
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