Martha's Kinder
Korridore, die Treppe hinab, durch eine lange Halle; man hatte Zeit zu einem Gespräch.
»Was wollten Sie vorhin sagen, Gräfin Cajetane?« fragte Rudolf. »Sie sind ein – begannen Sie und brachen ab. Was bin ich?«
»Ein ungewöhnlicher Mensch.«
»Das ist sehr milde ausgedrückt.«
»Sie glauben doch nicht, daß ich mir eine Verurteilung erlaube –«
»Doch wäre eine solche – von Ihrem Standpunkt – nur zu natürlich. Ich bin ein aus der Art Geschlagener, während Sie ein Muster – ein Prachtexemplar der Art sind, aus der ich geschlagen bin. Sie müssen mich daher verurteilen.«
»Ich tue es nicht. Zwar verstehe ich Sie nicht ganz, aber ich weiß, ich fühle, daß Sie Großes und Edles bezwecken –«
»Und glauben Sie, daß ich es erreiche?«
»Auch das kann ich nicht wissen. Ich habe ja in das alles keinen Einblick – bin ganz unwissend. Was Sie getan haben, hat großen Eindruck auf mich gemacht – dennoch, wenn ich mir Ihre Worte zurückrufen will, so geht es nicht. Ich weiß nicht mehr, was Sie gesprochen haben – ich gäbe was drum, wenn ich's noch einmal hören oder lesen könnte ... ich glaube, ich könnte da etwas lernen, etwas ganz Neues –«
»Flößt Ihnen das Neue keine Furcht ein, Gräfin Cajetane? Ihre ganze Erziehung fußt auf dem Alten, Ihr ganzes schönes, harmonisches Leben ruht darauf.«
Sie schüttelte den Kopf, aber blieb die Antwort schuldig. Sie war zu zurückhaltend, um über sich zu sprechen, um sich gegen die Meinung zu verteidigen, daß sie nur am Alten hing, während doch ihr junger, offener Sinn sich den Ahnungen und Verheißungen nicht verschlossen hatte, mit denen die nach Neugestaltung auf allen Gebieten ringende Gegenwart erfüllt ist. Und der Mann an ihrer Seite hatte den Mut, dieser Neugestaltung Prophet und Mitschöpfer zu sein, opferte dafür Stellung und Reichtum – wahrlich, »ein ungewöhnlicher Mensch«. Wie bemerkte er vorhin? »Das war milde ausgedrückt« – nein, schwach ausgedrückt war's ... sie hätte sagen mögen – aber auch dazu war sie zu zurückhaltend –: »ein herrlicher Mensch«.
Nun gingen sie schweigend bis hinunter. Aber Rudolf fühlte, daß dieses Mädchen – eines jener Vögelchen, die auf den zum Falle bestimmten Bäumen nisteten – daß dieses Mädchen für ihn und für sein Tun voll Sympathie war. Unwillkürlich drückte er leise ihren Arm an sich.
XX.
Der zwischen Hugo Bresser und Sylvia schwebende Liebesroman, der an jenem Abend, da sie sein Drama vorgelesen, für beide in ein die Herzen tief bewegendes Stadium getreten war, war seither zu keinem Abschluß gelangt – weder Bruch noch Vereinigung – auch nicht einmal zum Geständnis.
Über ihn war mit der gesteigerten Anbetung Schüchternheit und Scheu gekommen – er fürchtete, sie zu erzürnen und zu verlieren, wenn er spräche. Und dadurch, daß er sie zum Gegenstand seiner dichterischen Huldigung machte, war sie ihm in eine Art Wolkenferne gerückt – in Wolken, die zwar seinem eigenen Weihrauchkessel entstiegen, die sie aber in Unnahbarkeit hüllten.
Die ihr gewidmeten und sie besingenden Gedichte gab er ihr nicht zu lesen. Die sollten zu einem ganzen Bande anwachsen, und erst wenn er unbestrittenen Ruhm erreicht hätte, sollten sie so überreicht werden. Nur Großes durfte er ihr schenken: nichts Geringeres, als für ihren Namen die Unsterblichkeit.
Und sie? Sie kam ihm nicht entgegen. »Geh in Reinheit durchs Leben.« Dieses Wort ihrer Mutter hatte sich ihr im Gedächtnis festgesetzt, wie dies manchmal bei Melodien geschieht, die man nicht los wird, die im Ohre nachklingen, man mag wollen oder nicht. Auch die Antwort, die sie darauf gegeben, blieb so haften: »Das will ich ja.« Es war dies ein nicht allein der Mutter, sondern auch sich selber gegebenes Versprechen.
Das Bewußtsein, den jungen Dichter zu lieben, erfüllte sie mit einem so intensiv beseligenden Gefühl, daß sie es wunschlos genoß. Es war eine ganz aus Bewunderung und Zärtlichkeit zusammengesetzte Empfindung – von keinem Schatten sinnlichen Verlangens gestreift. Es war die zweite Liebe in ihrem Leben. Welcher Unterschied mit der ersten! Errötend dachte sie jetzt an den leidenschaftlichen Taumel zurück, der sie zur Zeit ihrer Verlobung erfaßt hatte. Wie sie damals erglüht für einen Menschen, von dem sie nicht eine wahrhaft liebenswerte seelische Eigenschaft kannte – während jetzt die Seele allein, die große, lichte Seele eines Künstlers, eines gottbegnadeten Genius es ihr
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