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Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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Institution spricht, ist nicht persönlich gegen ihre Vertreter gemünzt. Vergessen Sie nicht, daß alles, was ich gegen den Krieg vorbringen oder wirken kann, im Geist eines Vermächtnisses geschieht, das mir von einem tapferen Soldaten – von Friedrich Tilling – zugefallen. Was ich getan habe, beweist genügend, wie ernst ich meine Aufgabe, meine bevorstehenden Kämpfe auffasse. Im Kampfe darf man vor der Notwendigkeit nicht zurückschrecken, auf den Gegner loszuschlagen. Meine Waffe ist ja nur das gesprochene und geschriebene Wort – die will ich gradaus und ehrlich gebrauchen, das heißt immer nur das sagen, was ich für wahr halte – das aber ohne Rücksicht, ohne Schonung. Daß man, wenn man mit seiner Meinung zurückhält, die anderen schonen wolle – das ist gewöhnlich nur Vorwand; sich selber will man vor Unannehmlichkeiten hüten, sich schont man dabei: Man mag den andern nicht erzürnen, nicht um ihm den Zorn zu ersparen, sondern um sich diesem Zorn nicht auszusetzen. Feigheit ist's mit einem Wort. Eine Feigheit, die ich an mir selber erfahren, als ich ein Fortschrittsanwalt, zugleich aber kluger Gutsbesitzer, taktvoller Hausherr und liebenswürdiger Vetter sein wollte. Jetzt will ich nichts anderes sein, als ein am Entwicklungsgang der Menschheit bewußt und furchtlos mitarbeitender Mitmensch.
    In solcher Mitarbeit, glauben Sie mir, liegt erhebender Genuß. Vor allem das Bewußtsein einer erfüllten Pflicht. Nicht allen offenbart sich diese Pflicht: aber die, welche Einsicht genommen haben in den Kampf der Zeiten, und die die drohenden Gefahren und winkenden Rettungen sehen, die können nicht anders – die müssen mittun. Rettenwollen ist ein natürlicher – ein dem Gesellschaftstrieb anhaftender Instinkt.
    Was ich sehe ist dies:
    Es sind Zaubermächte am Werk, die menschliche Gesellschaft so zu verändern, daß die Kultur von morgen sich zu der Kultur von gestern verhalten wird, wie der Schmetterling zur Raupe ... Die Raupe hat sich schon eingepuppt – die Kultur von heute ist die Chrysalide.«
    »Bravo!« sagte jemand aus der Gesellschaft, der das Wort Chrysalide poetisch fand, und daher ein Beifallszeichen für angebracht hielt.
    »Die Zaubermächte, die ich meine«, sprach Rudolf weiter, »heißen Technik und Wissenschaft. Soviel könnende und soviel wissende Wesen, wie die Menschen zu werden jetzt im Begriffe stehen, müssen auch vernünftige Wesen mit vernünftigen Einrichtungen werden. Das ist der Zwang des Anpassungsgesetzes. Daß aber unsere Lebensführung und unsere aus unwissenden Zeiten überkommenen Einrichtungen vernünftig seien, wird man doch nicht behaupten wollen? Um nur das eine hervorzuheben, das Unvernünftigste von allem: neunzehntel aller Hilfsquellen darauf zu verwenden, einander besser totschlagen zu können ... Sich die Heimat Erde in Beutestücke einzuteilen, um die man sich gegenseitig zerfleischt, statt sie in gegenseitiger Hilfeleistung in ein Eden umzuwandeln ... Wie murmelten Sie in den Bart, Freund Wegemann – »Sozialistenphrasen?« Mein Gott, oft gesagte Wahrheiten – und solche, auf die sich eine nach Verbreitung strebende Partei aufbaut, werden immer zu »Phrasen« ... ich will hier aber nicht in sozialdemokratischem Parteigeist, sondern im weitern Sinn – in sozialem Geist gesprochen haben. Daß die soziale Frage in gewaltiger Bedeutung unsere Gegenwart erfüllt und nach Lösung drängt – das kann doch niemand leugnen? Das Arbeitervolk ist es müde, zu leiden, und unter uns gibt es solche, die müde sind, es leiden zu sehen. Ich für mein Teil kann nicht länger müßig zusehen, bei all den unnützen Schmerzen, Lasten und Gefahren, unter denen meine Mitgeschöpfe stöhnen. Tat twam asi ...«
    Das indische »das bist Du« veranlaßte den poetischen Beifallsspender zu einem neuerlichen »Bravo!«
    »Ein großes Erlösungswerk bereitet sich vor – davon wissen gar viele Zeitgenossen – und wohl auch viele meiner lieben Tischgenossen – nichts. Was sie allenfalls davon vernehmen, klingt ihnen wie das ferne Rauschen einer drohenden Sturmflut und sie rufen nach Deichen und Dämmen. Wir aber, die wenigen, die hingehorcht haben, wir hören das Rauschen einer neuen Zeit der gewaltlosen Zeit, der elendbefreiten Zeit. Wenn wir sie auch nicht erleben ... übrigens, wer weiß? – ihr Kommen beschleunigt zu haben, das soll unsere höchste Genugtuung sein. Das habe ich mir zur Aufgabe erkoren. Nennen Sie solches Beginnen nicht vermessen und nennen Sie es nicht

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