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Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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Jenseits verbannt, im öffentlichen Leben aber ohne Geltung läßt und in ihren staatlichen Institutionen geradezu ins Gegenteil verkehrt.«
    Etwas wie ein eisiger Hauch wehte den Redner an. Hatte er leises Murren oder das Räuspern des Polizeiorgans gehört, oder war es nur jener geheimnisvolle Rapport, der zwischen einem Vortragenden und der ihm lauschenden Menge sich einstellt? – Kurz, er wurde plötzlich gewahr, daß ein Teil der Zuhörerschaft tadelnden Widerspruch, wenn auch nicht äußerte, so doch empfand.
    Wenn er jetzt zurückwich, war er verloren. Ein feindseliges Publikum, das kann nicht gesänftigt, das muß gebändigt werden. Er trat einen Schritt vor, mit verschränkten Armen, mit zurückgeworfenem Kopf.
    »Und jetzt ein Wort an die Zufriedenen hier im Saale. Ihnen habe ich nicht zu Dank gesprochen. Die Anklage gegen Bestehendes klingen in Ihren Ohren wie Aufreizung zum Umsturz, – und dabei könnte stürzen, was Ihre Zufriedenheit bedingt: Stellung, Reichtum, Karriere ... darum Handschellen und Knebel her für den aufwiegelnden Störenfried!
    Zufriedene, meine Brüder – wir sind ja alle Brüder – Sie vergessen, daß Sie den Störenfrieden vergangener Tage alles danken, worauf Ihr heutiges Behagen, Ihre gegenwärtige Sicherheit und Freiheit – so viel, oder, meines Erachtens, so wenig Sie davon haben – mit einem Wort, Ihre ganze Kultur ruht. Hätten alte Zustände niemals ihre Ankläger, neue niemals ihre Verteidiger gefunden, so wäre dieses ganze Publikum heute vielleicht bei einem auto da fé versammelt, oder, wenn man noch weiter zurückgreift, hauste es knochennagend in dunklen Höhlen ... Nur scheinbar ist der Verlust, wenn eine gewohnte, liebgewordene alte Ordnung einer moderneren Platz macht; so haben die Ritter ihre Burgen aufgeben müssen, auf Knappen und Wassergräben verzichten – doch welcher von ihren Nachkommen lebt jetzt nicht sicherer und besser in den unverteidigten Landhäusern? Welcher kann nicht bequemer die gebrauchten Waren sich verschaffen, wenn er sie in den Stadtläden einkauft, als wenn er sie durch Überfall fahrender Kaufleute sich erbeuten müßte? Es kann kein Übel oder Leiden geben – wenn solches Übel und Leiden der einen den anderen auch Vorteil und Gewinn bringt –, dessen Fortschaffung nicht den anderen noch größeren Gewinn zuführte, als sein Bestehen ihnen gewährte.
    Darum: nur niemals erlahmen in der Bekämpfung einer als Übel erkannten Einrichtung! Niemals zurückweichen aus Rücksicht für ihre Träger und Diener; nicht die Sklaverei bestehen lassen wegen des Profits der Sklavenhändler, oder die Folter beibehalten wegen des Erwerbs der Folterknechte. Rücksichtslosigkeit? Die gehört zu jeder Rettungsarbeit. Ertrinkende darf man bei den Haaren aus dem Wasser ziehen, aus brennenden Häusern mag man die Leute unsanft in die Rettungsschläuche stoßen, und aus sozialen Übelständen soll man die verblendet Zufriedenen durch rauhe Wahrworte zu befreien trachten. Befreien, erlösen: das sind nicht Aufgaben, die man erfüllt, indem man aus Füllhörnern Blumen schüttet, sondern« – der Sprecher trat noch einen Schritt vor und sprach mit lauterer Stimme – »sondern, indem man mit wuchtigen Hieben Ketten sprengt, mit kühn geschwungenem Speer Drachen fällt, oder mit zornig geschwungener Peitsche einen Tempel reinfegt!«
    Lautes Händeklatschen. Da erschrak Rudolf und er fühlte sich erröten. Dieser Beifall erschien als Quittung für einen plumpen Theatereffekt. Von Hieben, Drachen und Peitschen hatte er gesprochen, dabei hatte seine Stimme gedröhnt, und das Publikum dankte ihm dafür, wie einem debütierenden Tenoristen für ein gut geschmettertes hohes C.
    Es hätte nur noch gefehlt, daß er sich höflichst verbeugte. Das tat er nicht. Er blieb mit verfinsterter Miene eine Weile regungslos; dann hub er wieder an, indem er wie ruheheischend die Hand vorstreckte:
    »Es scheint mir, daß ich mißverstanden wurde. Axt und Speer und Peitsche, die mir einen Applaus eingetragen, als hätte ich diese Kraftwerkzeuge virtuosenhaft durch die Luft sausen lassen, die waren nur bildlich gemeint. Ich stehe hier, um gegen die rohe Gewalt zu sprechen; aber für das Wort selber, diese Waffe des Gefühls und der Idee, wollte ich das Recht vindizieren, scharf und wuchtig zu sein – und kräftig und unerschrocken gebraucht zu werden, wie einst Axt und Speer und Peitsche gebraucht worden sind. Die Dinge, die ich bewältigt sehen wollte, waren da auch nur in

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