Martha's Kinder
das heißt, daß die Leidenschaft, die sich ihrer bemächtigt hatte, sie nicht schwach, sondern stark machte, daß das Glück, das zu nehmen und geben in ihrer Macht stand – ein überwältigendes, erhebendes – mit einem Wort voll Größe war.
Ihr Bedienter wartete, wie ihm befohlen worden, geduldig vor der Tür, aber jetzt trat die Logenschließerin herein.
»Ich bitt' Euer Gnaden – es wird schon ausgelöscht.«
Sylvia erhob sich und trat vor den Spiegel, um sich das Spitzentuch um den Kopf zu schlingen. Ihr eigener Anblick in dem zurückgestrahlten Bild war ihr fremd; es lag etwas Verklärtes darin, ein süß-zärtlicher Zug um den Mund, der dunkler glühte als je, und es durchzuckte sie eine, zwar schon öfter, aber nie so intensiv empfundene Freude – die Freude, schön zu sein.
Sie trat hinaus. Der Bediente legte ihr den mit Hermelin gefütterten Theatermantel um die Schultern. Langsamen Schrittes – sie fühlte sich so seltsam müde – ging sie durch die Gänge und die Treppe hinab, in der Tat als letzte – es war schon alles leer.
Nur an dem Pfeiler neben der untersten Stufe lehnte noch ein Mann.
Als sie herankam, riß er den Hut vom Kopf und trat ihr entgegen: Hugo Bresser.
»Also endlich, also doch!« rief er.
Sie hing ihm schweigend ein und ließ sich zum Ausgang führen. Hier standen sie nun Arm in Arm, während der Diener den Wagen holte.
»Nun,« fragte er, »Ihr Urteil? – Ich will Ihr Urteil hören!«
Ihre Hand drückte schwerer auf seinem Arm:
»Herrlich!«
»Das beglückt mich ... Aber noch einen anderen Urteilsspruch erbitte ich mir ... nicht über das Stück, sondern über mich – über Tod und Leben für mich ... die zwanzig Lieder? ...«
Wieder ein Druck der weißbehandschuhten Hand auf dem schwarzen Ärmel und in innigstem Tone:
»Mein Dichter!«
Der Diener kam zurück: »So, gräfliche Gnaden, der Wagen.«
Hugo half der geliebten Frau beim Einsteigen.
»Darf ich eine Strecke mitfahren?«
Eine Sekunde zögerte Sylvia, dann aber mit Entschiedenheit:
»Nein.«
»Und wann erlauben Sie, daß ich morgen –?«
»Warten Sie eine Zeile von mir ab. Gute, gute Nacht!«
In derselben Woche hatte es noch eine Sensationspremière in Wien gegeben: Rudolfs erster öffentlicher Vortrag.
XV.
Es war im großen Musikvereinssaal und an einem Sonntag Nachmittag, damit – bei freiem Eintritt – recht viele Leute aus den arbeitenden Klassen kommen könnten. Für vorherige Bekanntmachung durch die Zeitungen und durch Anschlagzettel war gesorgt worden, und so geschah es, daß der weite Raum sich noch als zu klein erwies. Einige vordere Reihen waren für die persönlichen Bekannten Dotzkys, die ihn hören wollten, reserviert; das übrige Publikum war aus allen Schichten der Gesellschaft zusammengesetzt.
Als die Türen geöffnet wurden, gab es ein Drängen und Hasten, und bald war der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt. Viele mußten umkehren, ohne Einlaß zu finden.
Rudolf stand vor der ersten Sitzreihe, mit seiner Mutter und Grafen Kolnos im Gespräch. Das Schwirren und Sausen, welches das Drängen und Niedersetzen all dieser Leute verursachte, machte ihm keinen anderen Eindruck, als ob er, von einer Strandterrasse aus, das Branden des Meeres gehört hätte. Ein fremdes, fernes Element, diese Menschenmenge, weiter nichts.
Was er sprechen wollte, das galt ja nicht diesem zufällig hier versammelten Publikum, das galt der Mitwelt, der Öffentlichkeit überhaupt. Eine Handvoll Samenkörner wollte er ausstreuen, hier und anderswo, heute, und morgen wieder; allmählich würde doch, an einer Stelle oder der anderen, die Ideensaat aufsprießen; in einzelne Seelen würde wohl dringen, was die seinige erfüllte, und Nachfolger und Mitarbeiter würden ihm erstehen, vielleicht auch solche, die ihn weit überflügelten – desto besser! Von persönlicher Beifallssucht war in dem heiligen Feuer, das ihn durchglühte, auch nicht ein Funke enthalten.
Eine Zuhörerschaft, die einen Redner beklatscht und ihm zujubelt, die hatte er in diesem selben Saale vor einigen Wochen gesehen, als anläßlich eines Katholikentages ein antisemitischer Volksmann eine mit ordinären Witzen gewürzte Haßrede gegen »Judenliberale und Freimaurer«, gegen »Aufkläricht und Wissenschaftsdünkel« losgelassen. Und es war ein gar vornehmes Publikum gewesen: Bischöfe und Minister, Generäle und Aristokraten, Damen aus hohen und höchsten Kreisen, und daneben, in vielen Exemplaren, auch »der kleine Mann«, dem
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