Martin, Kat - Perlen Serie
Arbeitszimmers.
2. KAPITEL
Am frühen Morgen des nächsten Tages begann Mrs. Mills da- mit, Tory in ihren neuen Aufgaben zu unterweisen. Glückli- cherweise hatte Letztere bereits in Harwood Hall einen Haus- halt geführt, wenngleich der geizige Baron die Zahl der Be- diensteten recht gering gehalten hatte und alle dafür umso mehr arbeiten mussten.
Obwohl Claire in Harwood Hall keine Pflichten gehabt hat- te, fügte sie sich nun klaglos ihrer Arbeit. Sie pflückte Erbsen und Bohnen im Küchengarten, eilte zum Markt, um für die Kö- chin einen Topf Butter zu holen, und hatte sichtlich Freude da- ran, in einer Gemeinschaft mit anderen Bediensteten zu arbei- ten.
Seit ihre Mutter, Charlotte Whiting, Lady Harwood, vor drei Jahren gestorben war, hatten die beiden Schwestern kaum noch Gesellschaft gehabt. Vor dem Tod ihrer Mutter hatte To- ry Mrs. Thornhills Privatschule besucht, aber danach hatte ihr Stiefvater darauf bestanden, dass sie ihm den Haushalt führ- te.
Claire konnte seiner Ansicht nach zu Hause unterrichtet werden. Tory wusste, dass dies nicht nur Ausdruck seines Gei- zes war, sondern ihm auch sein Vorhaben erleichtern sollte, die Stieftochter zu verführen.
Bei der Erinnerung an ihren Stiefvater erschauderte sie. Claire ist jetzt in Sicherheit, versuchte sie, sich selbst zu beru- higen. In Wahrheit hing der Diebstahl der Halskette und der mögliche Tod des Barons wie ein Damoklesschwert über ihnen. Hätte sie es nicht schon längst in den Zeitungen lesen müssen, falls er wirklich von ihrer Hand gestorben war? Oder wäre sie nicht gar schon für die Tat gefasst worden?
Vielleicht hatte der Baron sich von dem Angriff erholt und verschwieg den Zwischenfall, um einen Skandal zu vermei- den. Er schätzte den Titel, den er nach dem Tod von Torys Va-
ter geerbt hatte, viel zu hoch, um den Namen Harwood leicht- fertig in den Schmutz zu ziehen.
Sie dachte wieder an die Brautkette. Zwar schien es ihr un- wahrscheinlich, dass die Legenden von Leidenschaft und Ge- walt, die sich um das Schmuckstück rankten, mehr als bloße Fantasie waren. Doch andererseits ...
Tory sah von ihrer Arbeit auf und erfasste nüchtern ihre Si- tuation. Ihr Gesicht war feucht von der Hitze des Kohlenfeu- ers und dem Dampf aus den Töpfen, die brodelnd auf dem Herd standen. Einzelne Haarsträhnen hatten sich aus ihrem Knoten gelöst und klebten ihr am Nacken. Sie dachte an Ciai- re und begann, sich Sorgen über die Absichten des Earls zu machen. In diesem Moment fragte sie sich, ob nicht doch der Fluch der Kette seine Wirkung zeigte.
An diesem Tag arbeitete sie mit Mrs. Mills zusammen, die ihr ihre Aufgaben erklärte. Tory hatte die Bücher zu führen, muss- te die Speisepläne zusammenstellen und die Einkäufe organi- sieren, die Vorräte verwalten und nach der Wäsche schauen - kurzum, sie war für den reibungslosen Ablauf aller Vorgänge im Haus verantwortlich.
Erst viele Stunden später, als sie gerade auf dem Weg in ei- nes der oberen Stockwerke war, um den Wäscheschrank im Westflügel zu sichten, begegnete sie wieder dem Earl, der im Türrahmen eines der Schlafzimmer lehnte. Tory stellte fest, dass ihre Schwester in dem Zimmer mit dem Wechseln der Bettwäsche beschäftigt war, und sah sich in ihren schlimmsten Befürchtungen bestätigt.
„Kann ich Ihnen behilflich sein, Mylord?" fragte Tory.
„Wie bitte? Oh ... nein. Nein, danke. Ich habe nur gerade ..." Er zeigte auf Claire, die mit der schmutzigen Wäsche im Arm versonnen aus dem Fenster schaute. „Was tut Ihre Schwester da?"
Tory folgte seinem Blick und sah, wie Claire fasziniert und völlig regungslos einen Schmetterling beobachtete, der sich auf ihrem Finger niedergelassen hatte.
Angst stieg in Tory auf. Sie waren beide auf diese Arbeit an- gewiesen, denn die letzten Tage hatten ihnen gezeigt, dass ih- re Möglichkeiten mehr als begrenzt waren. Keinesfalls durften sie ihre Anstellung verlieren.
„Machen Sie sich keine Sorgen, Mylord. Claire kann sehr hart arbeiten und wird ihre Aufgaben immer zu Ihrer Zufrie-
denheit erledigen. Manchmal scheint sie etwas langsamer zu sein als andere, dafür ist sie sehr gewissenhaft."
Der Earl sah Tory mit seinen goldbraunen Augen an, und für einen Moment verspürte sie erneut ein Gefühl der Unruhe. „Ich habe keine Zweifel an ihrer Eignung." Wieder betrach- tete er ihre Schwester, die immer noch gebannt den leichten Bewegungen des Schmetterlings folgte.
Zielstrebig betrat Tory das Zimmer. „Claire, meine Lie- be.
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