Martin, Kat - Perlen Serie
sie am liebsten zu Hause geblieben - aber dann würde sie alleine im Wohnzim- mer sitzen und ein Buch lesen oder an ihrer Stickerei arbeiten. Cord würde sich weiterhin in seinem Arbeitszimmer vergraben und ihre Anwesenheit gar nicht bemerken.
Dann konnte sie genauso gut ausgehen.
Seufzend zog sie an der Klingelschnur, damit ihre Zofe Em- ma ihr dabei behilflich war, ein Kleid für den heutigen Abend auszusuchen.
„Oh Mylady, dieses ist wirklich umwerfend! Es ist eines mei- ner Lieblingskleider." Emma war bis vor kurzem eines der Dienstmädchen gewesen. Sie war klein und stämmig, hatte strähniges blondes Haar und sprach mit einem leichten Cock- ney-Akzent. Stets hatte sie ihren Traum verfolgt, einmal Zofe zu werden, wenngleich ihr Hintergrund alles andere als eine gute Voraussetzung dafür war.
Emma hatte jedoch eine ausgesprochene Vorliebe für schöne Kleider, und es stellte sich heraus, dass sie sehr geschickt mit Nadel und Faden war. Als Tory heiratete, hatte sie sich ent- schlossen, dass Emma ihre Zofe werden sollte.
„Glauben Sie nicht, dass das Satinkleid mit der Perlensti- ckerei geeigneter wäre?"
„Das ist auch sehr schön, gar keine Frage. Aber diese rosen- farbene Seide mit dem leichten Überrock und all den herrli- chen Applikationen auf dem Oberteil ... das sieht einfach traumhaft aus, Mylady!"
Tory lächelte. Sie freute sich über die erfrischende Offenher- zigkeit der jungen Frau. „Dann werde ich also das Seidenkleid tragen."
Emma half ihr dabei, sich anzukleiden, und schloss die Knöpfe am Rücken des Kleides. Danach begann Tory, den
Schmuck auszusuchen, den sie dazu tragen wollte.
Sobald sie in ihre Schmuckschatulle griff, berührte ihre Hand den glatten, weißen Satinstoff, in den der Ring ihres Va- ters gehüllt war. Ein kalter Schauder lief über ihren Rücken, als Tory den Ring aus dem Stoff wickelte.
Aus der schweren Goldfassung leuchtete der blutrote Granat auf und weckte erneut all ihre schmerzlichen Erinnerungen. Seit Wochen hatte sie den Verdacht gegenüber ihrem Onkel zu verdrängen versucht. Stattdessen hatte sie sich darauf kon- zentriert, Claire - und sich selbst - zu beschützen. Doch nun gesellte sich zu der Sorge um ihre Beziehung zu Cord auch wieder der Argwohn, den sie hinsichtlich der Ermordung ihres Vaters hegte.
Wie war der Ring in den Besitz ihrer Mutter gelangt? Und warum hatte ihre Mutter nie erwähnt, dass sie ihn gefunden hatte?
Tory war sich sicher, dass das Tagebuch ihrer Mutter Ant- worten auf all diese Fragen geben würde - wenn es noch exis- tierte. Bestimmt hatte ihre Mutter den Ring unter den Sachen ihres zweiten Mannes, Miles Whiting, gefunden - und das konnte nur bedeuten, dass er für den Mord an Torys Vater ver- antwortlich war und nach dessen Tod den Ring an sich genom- men hatte.
Wenn sie es doch nur beweisen könnte!
Der Schlüssel zu allem war das Tagebuch, und sie musste es ausfindig machen. Dazu müsste sie nach Harwood Hall zu- rückkehren und den Dachboden durchsuchen. Sie wünschte, dass sie mit Cord darüber sprechen und ihn um Hilfe bitten könnte. Er war indes stets beschäftigt. Und hatte sie ihm nicht schon genügend Ärger bereitet?
Sie wickelte den Ring wieder in den Stoff ein und legte ihn in die Schatulle zurück. Dann griff sie nach der Perlenkette, deren Diamanten sie anfunkelten.
Die Kette war wie für ihr Kleid geschaffen, und die Perlen fühlten sich kühl und beruhigend auf ihrer Haut an. Mit einem leisen Klicken schloss Tory den diamantenbesetzten Ver- schluss und erinnerte sich dabei an die Nacht, in der Cord sie gebeten hatte, nur die Brautkette im Bett zu tragen, und sie dann leidenschaftlich geliebt hatte. Wenn er sie doch heute Abend nur begleiten könnte!
Tory unterdrückte die Trostlosigkeit, die sie für einen Mo- ment verspürte, und sah auf die Uhr. Ihre Schwester und ihr
Schwager würden sie jeden Augenblick abholen. Sie nahm den kunstvoll bestickten weißen Seidenschal, den Emma ihr reich- te, und ging die Treppe hinunter in die Eingangshalle.
Die Woche zog sich hin. Um sich dafür erkenntlich zu zeigen, dass die beiden sich so sehr um sie kümmerten, gab Tory ein Abendessen zu Ehren ihrer Schwester und ihres Schwagers. Wenn ihr Mann sie schon nicht in die Gesellschaft begleitete, dann würde sie ihm eben die Gesellschaft nach Hause brin- gen.
Ihre Gäste würden gleich eintreffen. Tory besprach einige letzte Details mit der tüchtigen neuen Haushälterin Mrs. Gray und kontrollierte danach die
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