Martin, Kat - Perlen Serie
umzuhören und unauffällig Erkundigungen einzuziehen, in der Hoffnung, endlich auf etwas zu stoßen, das die Unschuld ihres Vaters beweisen könnte. Besonders wichtig war es ihm he- rauszufinden, wo sich ein junger Mann namens Peter O'Daly aufhielt.
„Ich war Vorsitzender des Ausschusses für ausländische Angelegenheiten", hatte er ihr am Tag ihres Treffens erklärt. „Dadurch hatte ich Zugang zu brisanten Informationen, die nur sehr wenigen Leuten bekannt waren. Dass der Verdacht ausgerechnet auf mich fiel, war meines Erachtens kein Zufall, sondern von dem wirklich Schuldigen bewusst so arrangiert. Später erinnerte ich mich wieder daran, dass außer mir auch ein junger Mann Zugang zu den fraglichen Dokumenten hatte. Er kam manchmal in mein Büro, um dort sauber zu machen." „Bei ihm handelt es sich vermutlich um diesen Peter O'Daly?"
„Genau. Während des Prozesses hat ihm niemand Bedeutung beigemessen, weil man dachte, der Junge könne nicht lesen. Kurz nach meiner Verurteilung verschwand Peter aber spur- los. Wenn ich diesen jungen Mann ausfindig machen könnte, erfahre ich vielleicht auch, wer ihn dafür bezahlt hat, vertrau- liche Informationen aus meinem Büro weiterzugeben."
In den letzten Tagen hatte Grace sich bei ihrem Hausper-
sonal umgehört. Die Bediensteten eines Haushalts der Ober- schicht waren eine unschätzbare Quelle für jeglichen Klatsch und alle Gerüchte, die in London kursierten. Sie hatte den Na- men des jungen Mannes genannt und die Beschreibung, die ihr Vater ihr gegeben hatte, und die Dienerschaft zur Diskretion verpflichtet. Für ihre Hilfe, zumal wenn der Junge gefunden werden sollte, hatte Grace ihnen mehr Lohn versprochen. Doch bislang hatte sie noch nichts in Erfahrung bringen können. In den Wochen seit ihrer Unterredung in der „Rose Tavern" hatte sie nur eine einzige Nachricht von ihrem Vater erhalten. Er wünschte ihr alles Gute und brachte seine Freude über die Geburt seines Enkels zum Ausdruck, wovon er aus den Zeitungen erfahren haben musste. Daraufhin hatte Grace eine Antwort an die Adresse der „Rose Tavern" geschickt, die sie auf Bitten ihres Vaters an einen frei erfundenen Henry Jennings adressiert hatte, und ihm versichert, dass sie ihr Best- mögliches tat, um ihm zu helfen.
Sie seufzte, als sie mit dem Kind im Arm das Wohnzimmer verließ. Von ihrem Vater waren ihre Gedanken zu einem Prob- lem gewandert, das ganz nah war - nämlich Ethan und sein Sohn.
Wenn sie nur wüsste, was sie tun sollte!
„Und - wie gefällt es dir, Vater zu sein?" Rafe stand Ethan im Ballsaal von Sheffield House gegenüber, wo die beiden Männer sich im Fechten übten.
Ethan prüfte seine Klinge, indem er sie wiederholt durch die Luft sausen ließ. „Gut, denke ich."
Rafe schnaubte. „Was wohl heißen soll, dass du das Kind kaum siehst." Er berührte Ethans Klinge mit der Spitze seines Säbels, und sie nahmen erneut Aufstellung.
Von einem metallischen Klirren begleitet, bewegten die bei- den Männer sich gekonnt durch den Raum, griffen an, vertei- digten sich, teilten Schläge aus und parierten sie. Ethan erwi- derte einen schnellen Hieb von Rafe, umkreiste dessen Waffe mit der Spitze seines Säbels und stieß dann seine Klinge mit einer schnellen Bewegung in das Schutzpolster auf Rafes Brust.
Missmutig trat Rafe einen Schritt zurück, denn keiner der beiden Männer zog gerne den Kürzeren. „Ein Punkt für dich. Jetzt führst du."
Ihre Wettkämpfe waren immer recht ausgewogen, da die bei- den Freunde sich in ihren Fechtkünsten durchaus messen konn- ten. Insgeheim bezweifelte Ethan allerdings, dass Rafe sein Können schon jemals in einer wirklichen Auseinandersetzung unter Beweis hatte stellen müssen.
„Grace scheint eine gute Mutter zu sein", stellte Rafe fest, als sie sich vor der nächsten Runde kurz ausruhten. „Aber dein Sohn braucht auch einen Vater."
Ethan antwortete nicht. Sein Freund hatte natürlich Recht, als er sagte, er würde das Kind kaum sehen. Er war einfach noch nicht bereit, Vater zu sein, und hatte nicht die geringste Vorstellung davon, wie er sich in seiner neuen Rolle verhalten sollte. Der frühe Tod seines eigenen Vaters war sicherlich die Ursache für seine Verunsicherung, denn obwohl sein Onkel sich sehr bemüht hatte, ihm und seiner Schwester den Vater zu ersetzen, so war es doch nicht dasselbe.
„Das kommt vielleicht mit der Zeit", meinte Rafe nun, der den nachdenklichen Ausdruck auf Ethans Gesicht ganz richtig gedeutet hatte. Dann nahm
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