Martin, Kat - Perlen Serie
heißt du?", fragte Grace den Jungen, der kaum älter als zwölf sein konnte und für sein Alter zudem sehr klein war. Erst jetzt bemerkte sie, dass er sich mit seinem linken Arm auf eine hölzerne Krücke stützte.
„Freddie, Miss. Freddie Barton."
Grace beschloss, nicht weiter auf die Krücke zu achten, und lächelte den Jungen an. „Nun, Freddie, du kannst das Tablett hier drüben abstellen." Sie zeigte auf einen kleinen runden Sheraton-Tisch mit zwei dazu passenden Stühlen. Es erstaunte sie, dass ein Mann, der sich als der leibhaftige Teufel ausgab, einen behinderten Jungen in seinen Diensten hatte.
„Gerne, Miss." Freddie ging zu dem Tisch hinüber, und Grace runzelte besorgt die Stirn, als sie sein missgebildetes Bein sah. Auf einmal hörte sie hinter sich auf dem Gang ein Geräusch, und etwas huschte durch den offenen Türspalt, rannte durch die Kabine und so nah an dem Jungen vorbei, dass er fast das Gleichgewicht verlor.
„Zum Teufel mit dir, Schooner!" Etwas unbeholfen setzte er das Tablett auf dem Tisch ab, und Grace folgte seinem Blick. Ein getigerter Kater hatte es sich unter einem der Stühle ge- mütlich gemacht.
„Mögen Sie Katzen?", fragte er.
„Aber ja."
Erleichtert sah Freddie sie an. „Schooner wird Sie nicht stö- ren. Und er ist auch ein ganz toller Mäusefänger!"
Sie konnte ihr Lächeln kaum zurückhalten. „Dann muss ich mir also um Mäuse in der Kabine keine Sorgen machen." „Nein, Miss." Freddie blickte auf den orange gestreiften Schwanz, der unter dem Stuhl hervorlugte. „Schooner wird sich schon melden, wenn er wieder rauswill."
„Da bin ich mir sicher."
„Der Capt'n hat gesagt, ich soll mich um Sie kümmern. Wenn Sie irgendwas brauchen, müssen Sie mir nur Bescheid sagen." Oh, da fielen ihr viele Dinge ein! Am liebsten wünschte sie
sich, von diesem Schiff wegzukommen, doch sie bezweifelte, dass Freddie ihr dabei würde helfen können. Sie ging zum Tisch hinüber und betrachtete das Tablett mit dem Essen. Ihr Magen knurrte erneut. Sie war sehr hungrig, wichtiger war es allerdings, an Informationen zu kommen, und der Junge schien einiges zu wissen.
„Wie lange arbeitest du schon für Captain Sharpe?"
„Noch nicht lange, Miss. Der Capt'n hat das Schiff gerade erst gekauft. Aber mein Vater ist früher mit ihm zur See ge- fahren und dann zusammen mit der ganzen Mannschaft umge- bracht worden."
„Oh! Das tut mir Leid, Freddie. Wie ist das passiert?"
„Sie haben gegen die verdammten Franzosen gekämpft, und die haben das Schiff gestürmt und den Capt'n, meinen Vater und die ganze Mannschaft ins Gefängnis geworfen. Diese ver- dammten Bastarde!" Er errötete, weil er merkte, dass er in ih- rer Gegenwart geflucht hatte. „Entschuldigung, Miss."
„Ist schon gut, Freddie. Diese Franzosen scheinen aber auch wirklich eine ganz üble Sorte gewesen zu sein."
Der Junge stützte sich auf seine Krücke. „Der Capt'n hat die Sea Witch verloren und alle seine Männer - bis auf Angus und den schlaksigen Ned. Sie sollten mal die Geschichten hören, die Ned zu erzählen hat! Ned sagt, dass Capt'n Sharpe sich wie ein Teufel geschlagen hat. Er sagt, der Capt'n ..."
„Ich glaube, die Dame weiß schon mehr über den Captain, als ihr lieb ist", ließ sich auf einmal eine tiefe Stimme hinter ihnen vernehmen. „Los, Freddie - Angus wartet auf dich." Der Junge errötete erneut und humpelte eilig aus dem Zim- mer. Er schloss die Tür hinter sich, und Grace wandte sich um und sah ihren Entführer auf sich zukommen.
„Ihr Porridge wird kalt."
Sie blickte kurz auf die Schale. „Ja - danke für das Früh- stück."
„Sie sollten zusehen, dass Sie bei Kräften bleiben. Im Ge- fängnis ist das Essen ungenießbar - das weiß ich aus eigener Erfahrung."
Die Erinnerung daran, was ihr bevorstand, hatte ihr den Appetit gründlich verdorben, dennoch setzte sie sich an den Tisch und begann zu essen. Sie versuchte, nicht darauf zu ach- ten, dass der Captain hinter ihr in der Kabine auf und ab ging, und brachte mit Mühe das Porridge herunter, die Orange hin-
gegen konnte sie nicht mehr anrühren.
Er kam zu ihr herüber und blieb neben ihr stehen. „Essen Sie die Orange. Oder wollen Sie Skorbut bekommen und all Ihre schönen Zähne verlieren?"
Nur mit Mühe konnte sie sich eine schnippische Bemerkung verkneifen. Was ging es ihn an, was sie aß? Aber natürlich hatte er Recht. Sie hatte von Skorbut gehört und widmete sich nun also der Orange.
Die Frucht war süß und saftig.
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