Martin, Kat - Perlen Serie
Einfach herrlich! Zufrieden seufzend tupfte sie sich mit der Serviette die Lippen ab und schob dann ihren Stuhl zurück. Der Captain saß an seinem Schreibtisch und machte Eintragungen in das Logbuch.
Grace stand auf und ging zu ihm. „Ich will wissen, warum Sie mich hierher gebracht haben. Was haben Sie mit mir vor?" Er wandte sich zu ihr um, erhob sich und stand in seiner gan- zen Größe vor ihr. Seine blauen Augen blickten sie durchdrin- gend an. „Und ich will wissen, warum Sie einen Verräter vor dem Galgen bewahrt haben."
Endlich hatte er es gesagt! „Was macht Sie so sicher, dass ich das getan habe?"
„Ich habe meine Informanten - sehr zuverlässige Quellen. Genauso wie Harmon Jeffries."
Den Namen ihres Vaters mit so viel Hass ausgesprochen zu hören, ließ sie erschaudern. Erst vor kurzem hatte sie über- haupt von ihrem leiblichen Vater erfahren und seine Briefe an sie gelesen, die er ihr über die Jahre geschrieben hatte und die ihre Mutter vor ihr versteckt hatte. Die Botschaften hatten sie zutiefst berührt, denn sie hatten ihr gezeigt, dass ihr Vater sie nicht im Stich gelassen oder vergessen hatte, wie sie bislang immer geglaubt hatte.
In den Augen des Gesetzes hatte sie ein verwerfliches Verbre- chen begangen, indem sie ihm zur Flucht verhalf. Nun musste sie vorsichtig sein, sich nicht zu einem Geständnis verleiten zu lassen, denn sie wusste noch immer nicht, wer ihr Entfüh- rer wirklich war oder was er mit ihr vorhatte.
Und deshalb ging sie auf seine Fragen genauso wenig ein, wie er die ihren beantwortet hatte. „Ich verlange, dass Sie mich nach Scarborough bringen. Wenn Sie meine Reise nicht unter- brochen hätten, wäre ich schon längst dort eingetroffen."
Er lachte kalt. „Sie sind wirklich eine erstaunliche junge Frau, Miss Chastain. Sehr einfallsreich und dabei unglaublich
unterhaltsam. Unser kleines Katz-und-Maus-Spiel beginnt mir langsam Spaß zu machen."
„Nun, ich kann Ihnen versichern, dass es mir nicht so geht - ganz und gar nicht."
„Nein?" Er ließ seinen Blick über sie wandern, und sie glaub- te, die leidenschaftliche Hitze in seinen durchdringend blauen Augen auf ihrer Haut zu spüren. „Vielleicht brauchen Sie nur noch ein wenig Zeit."
Ihr stockte der Atem, und sie wandte sich von ihm ab, da ihr auf einmal bewusst wurde, wie zerzaust und unordentlich sie aussah. Sie strich sich eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht und wünschte sich nichts sehnlicher als ein Bad und frische Kleider.
Ihre Geste schien diesen Wunsch deutlich gemacht zu haben.
„In ein oder zwei Tagen werden wir anlegen, um unsere Vor- räte aufzufüllen. Ich werde mich darum kümmern, dass Sie dann etwas Neues anzuziehen bekommen."
Entschlossen hob sie ihr Kinn und sah ihn herausfordernd an. „Ich habe alles, was ich brauche - in meinem Gepäck auf der Lady Anne."
Der Captain verzog keine Miene. „Umso schlimmer für Sie, dass Sie nicht mehr an Bord der Lady Anne sind."
4. KAPITEL
Zwei weitere Tage waren vergangen. Grace saß in ihrem zer- knitterten meerblauen Seidenkleid auf dem breiten Bett des Captains und kraulte Schooner, der es sich auf ihrem Schoß gemütlich gemacht hatte. Das zufriedene Schnurren des orange getigerten Katers beruhigte sie. Sie war gefangen an Bord eines Schiffes, das ihr immer mehr wie ein Piratenschiff vorkam, sie wusste nicht, wohin sie fuhren, und ihr Schicksal schien ihr ungewiss.
Sie fragte sich, weshalb sie sich in Anbetracht all dessen nicht mehr fürchtete.
Grace seufzte und strich gedankenverloren über Schooners Fell. Vielleicht glaubte sie sich sicher, da ihr bislang kein wirk- liches Leid geschehen war und sie den Umständen entspre-
chend gut behandelt wurde. Nachts trug sie jetzt ein derbes Nachthemd aus Baumwolle, das Freddie ihr gebracht hatte. Und weil sie ihrem Entführer noch immer nicht vertraute, ver- brachte sie die Nächte weiterhin auf dem Holzstuhl hinter seinem Schreibtisch. Trotzdem wachte sie jeden Morgen in sei- nem Bett auf - der Unterschied zur ersten Nacht war jedoch, dass sie stets alleine aufwachte.
Grace wusste indes, dass er in der Nacht da gewesen war und neben ihr geschlafen hatte. Sie sah den Abdruck seines Kopfes auf dem Kissen und nahm schwach den angenehmen, männlichen Geruch seines Körpers wahr, der sie immer an das Meer erinnerte.
Mittlerweile fürchtete sie sich weniger vor dem, was der Captain ihr antun könnte, als davor, was wohl geschehen wür- de, wenn er sie nach London zurückbrachte und den Behörden
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