Martin, Kat - Perlen Serie
erzählten.
„Immer wenn ich an uns beide denke, fällt mir sofort das Zeichen des Zwillings ein", meinte Harriet nun, während sie durch Grace' tragbares Teleskop blickte, das sie auf der Ter- rasse aufgestellt hatten. „In den letzten paar Wochen sind wir wie Schwestern geworden."
„Dann denkst du vielleicht eher an die Dioskuren", schlug Grace vor und nahm Bezug auf das treue Bruderpaar der anti- ken Sage.
„Ja. Wir harmonieren so gut miteinander und sind meist der gleichen Meinung."
„Deshalb hat Zeus die beiden Brüder ja auch zusammen an den Sternenhimmel gebannt."
Harriet lächelte, was sie in letzter Zeit wieder häufiger tat. „Ganz genau."
Die Arbeiten im Haus zeigten schon erste Erfolge, und auch das Personal freute sich über den Trubel, der etwas Abwechs- lung in den Alltag brachte. Anlässlich Harriets Geburtstag bestand dann auch die Köchin darauf, ein ganz spezielles
Abendessen zuzubereiten. Und Grace trug zur Feier des Tages die Perlenkette.
Der Schmuck schien wirklich eine besondere Wirkung auf sie zu haben. Wann immer sie ihn anlegte, spürte sie sofort, wie ihre Verzweiflung ein wenig nachließ. Und an diesem Tag, an dem Harriet ihren Mann sicher schmerzlich vermisste, wollte Grace sich zuversichtlich fühlen, um ihre Schwägerin aufhei- tern zu können.
Sie ging die breite Marmortreppe hinunter und betrat das Speisezimmer. Jeder einzelne Kristall des kostbaren Kron- leuchters war erst kürzlich poliert worden, und sie funkelten nun alle im Schein der Kerzen.
Grace trug ein türkisfarbenes Kleid, dessen Rock mit einem griechischen Muster bestickt war. Auch Harriet war heute ele- ganter gekleidet als sonst und hatte sich für ein hellblaues Seidenkleid entschieden, das mit rosafarbener Spitze einge- fasst war.
„Alles Gute zum Geburtstag", wünschte Grace und küsste sie leicht auf die Wange.
„Danke. Kannst du dir vorstellen, dass ich mich nicht einen einzigen Tag älter fühle?"
„Nun, man sieht es dir auch nicht an."
Harriet lächelte. In letzter Zeit schien sie wieder glücklicher zu sein und alles um sich herum mit größerer Zuversicht zu be- trachten. Nun fiel ihr Blick auf Grace' Halskette. „Oh, welch wundervolle Perlen!"
„Ein Geschenk meiner Freundin, Victoria Easton. Sie hatte gehofft, es würde mir Glück bringen." Grace versuchte, nicht an Ethan zu denken, doch sie wünschte, der Zauber hätte bei ihnen beiden seine Wirkung getan - wie bei Tory und ihrem Mann, dem Earl of Brant.
Als sie und Harriet sich an das äußerste Ende des langen Tisches setzten, erzählte Grace ihr die Geschichte von Lord Fallons Liebe zu Lady Ariana of Merrick.
„Natürlich ist das alles Unsinn", beendete sie ihre Erzäh- lung. „Ich glaube nicht an Legenden, auch wenn das Collier meiner Freundin tatsächlich großes Glück gebracht hat."
„Trotzdem ist es eine interessante Geschichte. Wusstest du, dass Castle Merrick nur wenige Meilen von hier entfernt ist? Die Welt ist doch kleiner, als man glaubt."
Überrascht sah Grace auf. „Castle Merrick ist in der Nähe
von Belford?"
„Aber ja. Gleich hinter Alterton. Die Burg ist jetzt nur noch eine Ruine, wenn auch eine sehr beeindruckende. Vielleicht können wir einmal hinfahren."
„O ja, das würde ich sehr gerne." Grace berührte die Perlen an ihrem Hals und meinte zu spüren, wie sie sich unter ihren Fingern erwärmten. „Erst kürzlich habe ich mit einem der Schreiner gesprochen, einem Mr. Blenny, und er hat erzählt, dass ihm sein Zeh wehtut. Deswegen glaubt er, dass es noch einige Tage regnen wird. Aber er ist sich sicher, dass es Ende der Woche wieder schön wird. Vielleicht könnten wir dann un- seren Ausflug machen."
„Ja, so machen wir es. Ich möchte unbedingt, dass du dir die Burg anschaust."
Obwohl das Wetter weiterhin unwirtlich war - Mr. Blennys Zeh schmerzte wohl noch immer -, fuhren sie Ende der Woche nach Castle Merrick. Ein kalter Wind fegte über die Landstraße und peitschte die Äste der Bäume gegen die Kutsche, Grace war al- lerdings so aufgeregt, dass sie das Wetter kaum bemerkte. „Wie weit ist es noch?", fragte sie Harriet und fühlte sich un- geduldig wie ein kleines Kind.
„Hinter der nächsten Wegbiegung müsstest du die Burgrui- ne eigentlich schon auf der Anhöhe sehen können."
Grace schob das Fenster der Kutsche hoch und streckte ihren Kopf hinaus. Der Wind zerzauste sogleich den Pelzbesatz ihres Umhangs, und sie spürte die kalte Luft auf ihren Wangen, aber ihren Blick hielt sie
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