Mary Poppins
ändern. Das ist der Lauf der Welt«, sagte Mary Poppins voller Mitgefühl.
»Ah, da schau her!« höhnte der Star. »Schaut sie nur an! Heulen sich fast zu Tode! Ein Star, der noch im Ei steckt, hat wahrlich mehr Verstand. Schaut sie nur an!«
Denn John und Barbara weinten nun zum Erbarmen in ihren Bettchen – langgezogene Schluchzer tiefster Verzweiflung.
Auf einmal öffnete sich die Tür, und herein kam Mistreß Banks.
»Mir war, als hörte ich die Kleinen«, sagte sie und eilte auf die Kinderbettchen zu. »Was habt ihr denn, meine Schätzchen? Meine Herzchen, meine süßen, geliebten Vögelchen, was fehlt euch denn? – Warum weinen sie so, Mary Poppins? Den ganzen Nachmittag sind sie so lieb gewesen, kein Ton war von ihnen zu hören. Was fehlt ihnen bloß?«
»Ja, Madam. Nein, Madam. Ich glaube, daß sie ihre Zähnchen bekommen, Madam«, erwiderte Mary Poppins vorsichtig und vermied es, den Star anzusehen.
»Oh, natürlich, das wird’s sein!« rief Mistreß Banks beruhigt.
»Ich will aber keine Zähne, wenn ich dann alles vergesse, was mir das Liebste ist!« jammerte John und warf sich im Bettchen hin und her.
»Ich auch nicht!« schluchzte Barbara und vergrub ihr Gesichtchen im Kissen.
»Meine armen, kleinen Herzchen – es wird ja wieder gut, wenn nur erst die bösen, dummen Zähnchen da sind!« beschwichtigte Mistreß Banks und ging von einem Bettchen zum anderen.
»Du verstehst mich nicht«, heulte John wütend. »Ich will gar keine Zähne.«
»Nichts wird gut, alles wird schlecht«, weinte Barbara in ihr Kissen.
»Ps-ps-ps! So-so-so! Die Mutti weiß doch – die Mutti versteht euch doch! Alles wird wieder gut, wenn erst die Zähnchen da sind«, summte Mistreß Banks zärtlich. Vom Fenster her kam ein schwaches Geräusch. Es war der Star, der rasch ein Lachen verschluckte. Mary Poppins warf ihm einen Blick zu, der ihn einschüchterte, und er beobachtete von da ab die Szene, ohne im geringsten zu lächeln.
Mistreß Banks tätschelte sanft ihre Kinder, erst das eine, dann das andere, und murmelte Worte, die sie für beruhigend hielt.
Plötzlich hörte John mit dem Weinen auf. Er war sehr gutartig und hatte seine Mutter gern. Er fand, man müsse gerecht sein. Arme Frau! Es war ja nicht ihr Fehler, daß sie immer das Falsche sagte. Es lag daran, daß sie nichts verstand, überlegte er. Und um zu zeigen, daß er ihr verzieh, drehte er sich auf den Rücken, schluckte trotz allen Kummers die Tränen hinunter, packte seinen rechten Fuß mit beiden Händen und rieb die Zehen an seinem offenen Mund.
»So etwas Geschicktes! Nein, so etwas Geschicktes!« rief seine Mutter bewundernd. Gleich tat er es noch einmal, und sie war vollends entzückt.
Dann krabbelte Barbara, die hinter ihrem Brüderchen nicht zurückstehen wollte, aus ihrem Kissen hervor, setzte sich mit tränenüberströmtem Gesichtchen auf und zog ihre Söckchen aus.
»Ein großartiges Mädchen!« sagte Mistreß Banks stolz und gab ihr einen Kuß.
»Da sehen Sie’s, Mary Poppins. Sie sind schon wieder lieb. Mir gelingt es immer, sie zu beruhigen. Ganz lieb, ganz lieb!« wiederholte sie, als summte sie ein Wiegenlied. »Und die Zähnchen sind sicher bald durch.«
»Gewiß, Madam«, sagte Mary Poppins ruhig. Und Mistreß Banks lächelte den Zwillingen zu, ging hinaus und schloß die Tür.
Kaum war sie verschwunden, brach der Star roh in schallendes Gelächter aus.
»Entschuldigt, daß ich so lache«, rief er. »Aber wirklich – ich kann nicht anders. So ein Theater! Nein, so ein Theater!«
John beachtete ihn gar nicht. Er preßte sein Gesicht an das Gitter seines Bettchens und rief leise und voll Leidenschaft zu Barbara hinüber:
»Ich will nicht wie die anderen werden! Glaub mir, ich will nicht! Die beiden«, er zeigte mit dem Kopf auf den Star und Mary Poppins, »die können sagen, was sie wollen. Ich werd es nie vergessen, nie!«
Mary Poppins lächelte ein heimliches Ich-weiß-es-besser-als-du-Lächeln vor sich hin.
»Ich auch nicht«, sagte Barbara, »nie!«
»Bei meinen Schwanzfedern – hört euch das an!« kreischte der Star, stemmte die Flügel in die Seiten und lachte laut und ausgelassen. »Als ob gegen das Vergessen ein Kraut gewachsen wäre! Schon in einem Monat oder zwei – allerhöchstem in drei – werden sie nicht einmal mehr wissen, wie ich heiße – diese einfältigen Kuckucke! Törichte, unreife, federlose Kuckucke! Ha-ha-ha!« Und immer noch laut lachend, breitete er seine gesprenkelten Flügel aus und flog
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