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Maschinenkinder

Maschinenkinder

Titel: Maschinenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shayol Verlag
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kommt eh nicht in Frage. Dann würde aus dem Boten auf dem Rad ein Ziel auf dem Rad. Mir ist eh scheißegal, für wen ich welche Drecksarbeit mache, solange er brav auf mein Konto überweist. Es ist nicht das Jahrhundert von Moral und Fairplay. Die Raubtiere haben immer regiert, aber jetzt tragen sie ihre Fangzähne offen. Die haben uns verarscht. Uns zu Arbeitsvieh degradiert, das in der Nahrungskette weit unter ihren Maschinen steht. Brauchen sie dich nicht mehr, bieten sie dir sogar großzügig die finale Injektion an. Die da oben hinter ihren Kameras, ihren Sensoren, ihren Scannern, das sind die, die’s versaut haben.
    Gleich kommt meine Station. Mein Herz fühlt sich an, als würde es zu viel Blut durch meine Arterien pressen, sie beinahe zum Bersten bringen. Erythropoetin sorgt dafür, dass dir die Luft nicht ausgeht. Irgendwer hat mir mal gesagt, es würde mich töten, wenn ich es länger als ein halbes Jahr nehme. Ist jetzt vier Jahre her, und mein Herz schlägt immer noch. Der vertraute stechende Schmerz in den Knien ist auch wieder da. Erythropoetin für die Ausdauer, Stanozolol B für die Muskelmasse. Nur nichts, was deine Gelenke daran hindert, sich langsam aufzulösen. Alles ist Entropie. Das Universum, die Stadt und ich. Ganz besonders ich. Ich bin eine Maschine, eine, die langsam kaputt geht. Und ich habe keine Lust, darauf zu warten.
    Heute ist der Tag, an dem wir zurückschlagen. Jedenfalls hat er das gesagt, bevor ich die kleine Maschine runtergeschluckt habe.
    Über den Türrahmen gafft ein Kamera-Auge auf mich herunter. Die biometrische Software kann mein Gesicht nicht identifizieren, aber der RFID-Chip in meinem Arm lügt nicht. Der am anderen Ende weiß, wer ich bin. Noch zumindest.
    Ich grinse in die Kamera und sehe mein Spiegelbild. Rote Rinnsale laufen aus den Augen über meine Wangen, verschwinden unter der Maske. Blutende Tränenkanäle. Eine Nebenwirkung von billigem Stanozolol B. Ich sehe aus wie ein verdammter Messias-Abklatsch, schießt es mir durch den Kopf, statt mit Kreuz auf dem Rücken mit einem japanischen Rennrad zwischen den Beinen. Aber glaubt mir, ich bringe euch nicht den Frieden.
    Nicht heute Nacht.
    Gopher
    Ein Brausen, wie von Hornissen, als der Schwarm zum Sinkflug ansetzt und im Bogen durch die Häuserschlucht rauscht: hunderte Überwachungsdrohnen, signalgelb, schwarz, mit Antennen und Kameras bestückt, die kristallklare Bilder auf meine Ölhaut werfen. Ich bin Gopher, das erste der Augen. Wir sehen alles, jeden.
    Auf dem Bürgersteig teilt sich die Menschenmenge vor mir, prallt zurück, weicht ängstlich aus – Gespenster im Regen, zitternd, kalkweiß –, während ich zur Brücke marschiere, um die U-Bahn zu scannen, die über mir, in luftiger Höhe, vom Tunnel ins Dämmerlicht bricht. Schlagböen lassen ihre Fenster vibrieren, dass Störmuster die flimmernden Clips verzerren und strecken: Tintenfische, die für Abführpillen werben, von Models mit Clownsgrinsen wie Cornflakes geschluckt.
    Ein Impuls an die Drohnen, die Richtung zu wechseln, und alle folgen als Einheit, passen Tempo und Flugbahn an den direkten Nachbarn an. In einer kurzen Schleife macht der Schwarm kehrt und fliegt erneut auf mich zu, wobei schnelle, wechselnde Bilder über meine Ölhaut gleiten: Mauerziegel, erleuchtete Fenster, dann eine Frau am Balkon, die Wäsche aufhängt, und dann die U-Bahn, schon fast vorbei ... Ich schalte auf Makro und checke die menschliche Fracht. Nein. Nein. Der da, was ist mit dem? Kapuze und Maske, eine verspiegelte Brille; so auffällig unauffällig, dass ich seinen RFID-Chip gar nicht erst prüfen müsste:
    Treffer.
    Grünes Licht für Operation »Scapegoat«, zehn Minuten vor der errechneten Simulationszeit; mehr Spielraum für mich, um die anderen Schachfiguren in Stellung zu bringen. Noch läuft alles reibungslos. Sehr gut.
    Der Plan scheint fehlerfrei.
    Nahe der Brücke bleibe ich stehen und lade die Fingerkuppen mit Strom voll: Blitze, neun Ampere stark, knistern an meinen Händen, schlagen Funken und züngeln, verpuffen den Regen.
    Ich warte ab. Oben am Himmel kreisen die Drohnen, lauern auf neue Befehle wie Raubvögel, die nach Beute spähen. Geduld, meine Freunde, Geduld.
    Zuerst das Dröhnen der Turbinen, tief und donnernd, als würde ein Scramjet durchstarten, bevor der Panzerwagen aus einer Nebenstraße herauswalzt … ein Monstrum aus Stahl, die Scheiben rot und verspiegelt. Unter meinen Stiefeln bebt der Asphalt, und ich trete zurück, während die

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