Masken der Begierde
dürfen!“ Sie zwinkerte Allegra verschwörerisch zu. „Kommt mit, Ihr müsst einfach Esquire Wylie kennenlernen.“ Sie hakte sich bei Lucas ein und zog ihn von Allegra und Violet fort.
Er warf einen Blick zurück, und Violet bemühte sich um eine ernsthafte Miene, weil sie Lucas’ Gesichtsausdruck zum Lachen reizte. Er wirkte wie die mürrische Bulldogge ihres Vaters.
Violet wandte sich an Allegra. „Möchtest du etwas trinken?“
Allegra nickte, und die beiden schlenderten zu dem gewaltigen Tisch im Schatten einiger hoher Bäume, auf dem das Buffet aufgebaut worden war. Am Ende des Tisches stand eine Bowleschüssel aus glitzerndem Kristall. Passende Bowletassen reihten sich akkurat wie Soldaten hinter dem Getränk auf. Ein freundlich dreinblickendes Hausmädchen musterte Allegra und Violet aufmerksam und knickste. „Darf ich Euch etwas vom Punsch anbieten, Madame? Miss?“
Kurz darauf saßen Violet und Allegra auf einer Bank ein wenig abseits in der Sonne und beobachteten die anderen Gäste.
„Diese unsinnigen Gesellschaftsregeln“, maulte Allegra. „Wie soll man Leute kennenlernen, wenn man sich erst bekannt machen lassen muss?“
„Regeln und gutes Betragen erleichtern das Zusammenleben“, entgegnete Violet.
„Was erleichtert es denn? Wir können mit niemandem auf dem Fest plaudern, weil wir keine Menschenseele kennen!“ Allegra wirkte gereizt.
Ganz unrecht hatte sie damit nicht, aber Violet konnte Allegra unmöglich ermuntern, die Anwesenden durch allzu zwangloses Verhalten zu brüskieren. Zudem ahnte sie, dass Lucas enorm viel Wert auf tadellose Manieren in Gesellschaft legte.
„Zügle dein Temperament, Allegra“, wies sie das Mädchen zurecht. „Du möchtest deinen Bruder doch davon überzeugen, dass du bereit bist, dich in der Gesellschaft zu präsentieren.“
Allegra knurrte, setzte jedoch ein fröhliches Lächeln auf und korrigierte ihre Haltung. „Bin ich so gesellschaftsfähig, Miss Delacroix?“, erkundigte sie sich höflich.
Violet schmunzelte. „Absolut.“
Ein Mädchen in einem cremefarbenen Spitzenkleid fixierte sie. Violet erwiderte den Blick der Unbekannten, lächelte freundlich und unterzog es einer interessierten Musterung. Ihr schwarzes Haar war elegant hochgesteckt bis auf einige Locken, die ihr Gesicht einrahmten. Sie stand bei mehreren älteren Herrschaften, die ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich lenkten.
Lady Pikton steuerte auf Violet und Allegra zu. „Mein Lieben, vergebt mir, ich wurde aufgehalten. Dieser Esquire Wylie findet einfach kein Ende. Ihm zu entkommen, ist mit Höflichkeit schier unmöglich.“
Violet erinnerte sich, dass Lady Pikton Lucas mit dem Esquire bekannt machen wollte. In ihr keimte der Verdacht, dass Lady Pikton dabei reines Kalkül gelenkt hatte.
„Soll ich Euch ein paar der anderen Gäste vorstellen?“ Lady Pikton wartete ihre Antwort gar nicht ab, sondern winkte zwei Herren heran.
„Miss Delacroix, Miss Allegra, dies sind die Herren Gosling und Keibler“, stellte Lady Pikton die beiden vor. „Mr. Gosling ist Advokat in Carlisle, Mr. Keibler weilt zur Zeit zu Besuch bei Mr. Gosling.“
Die beiden begrüßten Violet und Allegra freundlich.
Mr. Goslings Vollmondgesicht strahlte. „Lady Pikton, wo habt Ihr nur diese charmanten jungen Damen bisher vor uns versteckt?“, fragte er und wurde rot.
Lady Pikton schlug ihm sacht auf den Unterarm. „Mein Lieber, spart Euch die Schmeicheleien. Miss Allegra St. Clare ist die Schwester des Earls of Pembroke und Miss Violet ihre Gesellschafterin.“
Mr. Keibler richtete seinen Kragen. „Der Earl of Pembroke?“ Er sah sich neugierig um. „Ist er ebenfalls anwesend?“
„Selbstverständlich, und er nimmt seine Pflichten als Familienoberhaupt überaus ernst.“ Lady Pikton kniff ihre Augen zusammen, ehe sie sich an Violet wandte. „Nicht wahr, Miss Delacroix?“
Violet nickte. „Er ist unglaublich pflichtbewusst“, stimmte sie zu.
„Ihr wart in Leandras Begleitung. Wo ist sie?“, wechselte Lady Pikton das Thema. Sie blickte sich dabei suchend um, während sich Mr. Keiblers Wangen rot färbten, als wäre er bei etwas Ungehörigem ertappt worden.
„Sie unterhielt sich eben noch mit Mr. und Mrs. Bertram und Mr. Goslings Grandma“, entgegnete er zuvorkommend.
Lady Pikton machte eine wedelnde Handbewegung. „Also wisst Ihr nicht, wo Leandra sich aufhält. Allegra, Miss Delacroix, folgt mir, wir finden Leandra gewiss. Sie wird wohl kaum in ein Kaninchenloch gefallen
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