Masken der Begierde
nachdenklich auf ihr Zimmer zurück. Für jemanden, der nicht tratschte, hatte sich Mrs. Harvey recht auskunftsfreudig gezeigt. Mit den Informationen gerüstet würde sie bei nächster Gelegenheit die Eintragungen in dem geheimnisvollen Büchlein überprüfen. Vielleicht hatte Bethany St. Clare tatsächlich die Träume während ihrer Anfälle beschrieben.
Wie auch immer, Allegra bekäme das Buch nicht zu Gesicht. Violet stellte sich vor, wie sie sich an Allegras Stelle fühlen würde, bekäme sie derartige Niederschriften von ihrer Mutter zu Gesicht. Violet würde ihren Schützling vor dieser Erfahrung bewahren.
Kapitel 7
Ich bin niemand. Wer bist Du?
Emily Dickinson
Die Sonne schien, und der kristallblaue Himmel verhieß für den restlichen Tag das ideale Wetter, um sich im Freien aufzuhalten. Rechts vom Weg befand sich der See, dessen klares Wasser zu einer Bootsfahrt verlockte. Im Schilf schwammen ein paar Wildenten umher, während ein Frosch quakte, und der Wind wehte die Duftmischung aus Algen und Fisch herüber. Auf der anderen Seite des Weges wiegten sich Getreidehalme im sanften Luftzug, und am Feldrand wuchsen Kamille und Klatschmohn.
Nach einer Weile drang der stechende Geruch nach Schaf in Lucas’ Nase. Entferntes Blöken und weiße Flecken auf grünem Weideland verrieten die Anwesenheit der wolligen Gesellen.
Lucas fragte sich, warum und wie ihm das Recht, über Wohl und Wehe seiner Schwester zu bestimmen, entzogen worden war. Statt auf Halcyon Manor einen friedlichen Tag zu verbringen, saß er mit Violet und Allegra in seinem Landauer. Bereit, die tröstliche Abgeschiedenheit seines Anwesens zu verlassen und sich in die Löwengrube des Gartenfestes von Lady Pikton zu begeben. Natürlich hätte er Allegra und Violet allein dorthin gehen lassen können.
Ein kluger Mann wusste, wann er sich geschlagen geben musste. Bei ihm war dieser Moment gekommen, als ihm Allegra listig versicherte, es sei kein Problem, wenn sie und Violet ohne männliche Begleitung auf dem Fest erscheinen würden. In diesem Augenblick wusste er, dass er nicht verhindern konnte, dass Allegra am hiesigen Gesellschaftsleben teilnahm. Er konnte lediglich dafür sorgen, sie nicht allein zu lassen und seine Aufmerksamkeit auf sie zu halten.
So hatte Lucas nachgegeben und sich bereit erklärt, die beiden zu begleiten. Als sie vor Hemsworth Hall ankamen, eilten sofort Lakaien herbei, die die Türen öffneten und den Damen beim Aussteigen behilflich waren.
Das Anwesen war kleiner, aber nicht weniger luxuriös als Halcyon Manor. Ein Butler mit weißen Handschuhen und dunkelblauer Livree begrüßte Lucas, Allegra und Violet. Er führte sie in den parkähnlichen Garten hinaus, wo sich die ersten Gäste tummelten. Lucas erkannte einige von ihnen, dem einen oder anderen war er bereits bei früheren Gelegenheiten begegnet.
Allegra strahlte unablässig, und ihre Freude ließ Lucas fast bedauern, dass er ihr den Spaß im Grunde lieber vorenthalten würde. Er wäre bedeutend entspannter, wenn sie sich wieder auf dem Heimweg befänden.
„Allegra, Lord Pembroke!“, krähte eine Stimme.
Lucas fuhr zusammen, und seine Laune sank auf arktische Tiefstwerte.
Violet war froh um die Handschuhe, die ihre feuchten Hände verbargen. Anspannung verhärtete die Muskeln in ihrem Rücken. Die Furcht, erkannt zu werden, machte sie nervös, und zum wiederholten Mal erklärte sie sich selbst, dass es unmöglich war, jemanden zu treffen, der sie kannte. Zudem hatte Lady Pikton versichert, nur die örtliche Gentry wäre anwesend. Violet kannte niemanden aus dem Landadel. Dennoch sah sie sich aufmerksam unter den Gästen um.
Allegra beugte sich zu ihr. „Miss Delacroix, ich danke Euch. Ohne Euch hätte mir Lucas den Besuch nie erlaubt.“
Violet lächelte und tätschelte Allegras Unterarm. Es war weniger Violet als Lady Piktons Penetranz und Allegras Hartnäckigkeit gewesen, die dazu geführt hatten, dass sie drei jetzt hier standen.
Lady Pikton rief erfreut Allegras und Lucas’ Namen und eilte auf sie zu. Neben Violet zuckte Lucas zusammen. Seiner Miene nach zu urteilen, hätte man ihn ebenso gut zum Schafott führen können. In Violet stieg ein Hauch Mitgefühl auf.
Die Lady trug einen Turban mit Feder und ein luftiges Kleid, das bequem geschnitten war. Sie begrüßte Violet und Allegra herzlich und konzentrierte sich dann auf Lucas.
„Lieber Lord Pembroke, welch ein Vergnügen, Euch auf meinem bescheidenen Gartenfest begrüßen zu
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