Masken der Begierde
imposanten Tisch in der Mitte der Küche und bereitete Pastetenteig zu.
„Miss Delacroix.“ Freundlich grüßte die Wirtschafterin Violet.
„Guten Morgen, Mrs. Harvey“, erwiderte Violet und trat näher.
Die ältere Frau sah zu der Vorrichtung, an der die Glocken für die Herrschaftsräume angebracht waren, als wollte sie sich vergewissern, nicht ein Signal überhört zu haben. Erst dann wandte sich wieder ihrem Teig zu.
„Kann ich etwas für Euch tun, Miss Delacroix?“, erkundigte sie sich höflich, ohne von ihrem Teig abzulassen.
Violet nickte und schüttelte gleich darauf den Kopf. „Kann ich Euch zur Hand gehen?“
Mrs. Harveys Kopf fuhr überrascht hoch. Sie musterte Violet prüfend. „Nein, eigentlich nicht. Ihr seid doch nicht heruntergekommen, um mir bei der Küchenarbeit zu helfen“, argwöhnte die Frau.
Violet neigte verlegen ihr Haupt. „Euch entgeht nichts.“ Sie lächelte.
Die Wirtschafterin zuckte mit den Achseln und drehte sich zu einem der Küchenmädchen um. „Evi, bring Miss Delacroix eine Tasse Tee!“ Sie deutete auf einen Stuhl am Tisch. „Setzt Euch, und dann fragt mich einfach. Bin keine, die tratscht, aber ich plaudere gern.“
Violet ließ sich nieder. Mrs. Harvey richtete erneut ihr Wort an das Dienstmädchen. „Bring unserer Miss Delacroix ein paar der frisch gebackenen Brötchen, Butter und Orangengelee. Und vergiss das Geschirr und Besteck nicht.“ Sie wandte sich Violet entschuldigend zu. „Das Mädel ist nicht ganz helle, aber fleißig und immer fröhlich.“
Violet lächelte und dankte Evi, die herangetrottet kam und alles Gewünschte servierte. Violet schenkte Mrs. Harvey ihre Aufmerksamkeit.
„Lasst es Euch schmecken.“ Mrs. Harvey riss einen Teigbatzen ab, schlug ihn auf den Tisch und rollte ihn mit dem Nudelholz platt.
Violet trank einen Schluck Tee und bestrich das warme duftende Brötchen mit Butter, die goldgelb glitzernd den Teig tränkte. Violet häufte Gelee darauf, ehe sie einen Bissen in den Mund steckte.
„Nun“, begann die Wirtschafterin. Eine graue Haarsträhne löste sich aus ihrem strengen Dutt und fiel ihr in die Stirn. Sie wischte sie mit dem Unterarm zurück. „Miss Allegra hält große Stücke auf Euch.“
„Allegra ist ein bezauberndes Mädchen.“
Mrs. Harvey schnaubte. „Ein kleiner Teufelsbraten ist sie! Bevor Ihr nach Halcyon Manor kamt, hat sie allerlei Unfug angestellt. Habe zu Lord Pembroke gesagt, das Mädel bräuchte eine Tracht Prügel, dann vergingen ihr die Dummheiten und der Sinn für Schabernack. Irrsinnig? Maßlos verwöhnt ist die Kleine! Wie ihre Mutter, Gott hab sie selig.“ Mrs. Harvey legte den ausgerollten Teig in eine Pieform und drückte ihn mit geübten Griffen hinein.
„Bethany?“
„Richtig.“ Ihre Stimme klang angestrengt, weil sie erneut Teig ausrollte. „Sie tauchte eines Tages auf Halcyon Manor auf, während Master Lucas in seinem letzten Jahr in Eton war. Sie war eine entfernte Verwandte der St. Clares. Master Lucas´ Vater hatte sie wohl auf unbestimmte Zeit nach Ullswater eingeladen, und da nistete sie sich hier ein. Als Master Lucas in den Ferien nach Hause kam, schlich sie um ihn herum wie eine rollige Katze. Kaum älter als Master Lucas, aber berechnend wie eine erfahrene Kurtisane, das war Bethany St. Clare! Wir alle wussten, dass die Gute ein sicheres Auskommen als Ehefrau eines Earls anstrebte. Und als der Master nach Eton zurückkehrte, dauerte es keine Woche, bis sie das Bett seines Vaters teilte.“
„Und ihn heiratete?“, kürzte Violet die Erzählung ab.
„Sehr wohl, Miss.“ Mrs. Harvey nickte. „Nach neun Monaten kam die junge Miss Allegra zur Welt. Wenige Jahre später verunglückten Lord und neue Lady Pembroke auf dem Weg nach London.“ Mrs. Harvey zuckte mit den Achseln.
„Und der junge Lord Pembroke?“, hakte Violet nach.
„Er kam sofort nach Halcyon Manor zurück, um sich um die Güter und Miss Allegra zu kümmern.“ Mrs. Harveys Gesicht leuchtete. Sie hielt offensichtlich große Stücke auf Lucas.
Violet nickte. „Hat Lady Pembroke unter denselben Anfällen gelitten wie Allegra?“
Mrs. Harvey runzelte nachdenklich die Stirn. „Ihr meint, ob sie unter derselben theatralischen Ader litt?“ Die Wirtschafterin beschäftigte ihre Hände damit, den Teig in eine Pieform zu drücken. „Ich denke ja, so genau weiß das niemand von uns Hausbediensteten. Sie schloss sich oft in ihren Gemächern ein und war für niemanden ansprechbar.“
Violet kehrte
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