Masken der Begierde
gibt es Probleme“, erklärte Lucas den Anwesenden. Er wandte sich an Violet. Sein eisgrauer Blick durchdrang sie bis auf den Seelengrund. „Miss Delacroix, offenbar jemand … ein Verwandter von Euch. Ein Franzose.“
Selbst ein Blinder hätte bemerkt, dass Lucas log. Violet sprang hoch und murmelte eine Entschuldigung, ehe sie ihm folgte.
Violet ging mit ihm den Gang entlang, und sie sprachen beide kein Wort. Violet hätte ohnehin nicht gewusst, was sie hätte sagen sollen. Spannung lag in der Luft. Das Flirren einer Energie, die Ahnung von Ereignissen, die alles verändern würden. Wenn ihr Vater sie ausfindig gemacht hatte, konnte ihre Zeit auf Halcyon Manor vorbei sein. Die Furcht fraß sich wie ein zorniges Tier durch ihre Eingeweide. Sie streckte ihre Hand nach Lucas aus und hielt ihn zurück. Er drehte sich um, seine grauen Augen wirkten wie die sturmumtoste See. Die Ahnung von Einsamkeit ruhte in den Tiefen seines Blicks, und ihr Herz verkrampfte sich, als sie Lucas ansah, seinen Duft in sich aufsog, seine Hände auf den ihren spürte.
„Wer wartet auf uns?“, fragte sie ihn nervös.
Lucas zuckte mit den Schultern und drückte ihre Hand. „Ich weiß es nicht“, erklärte er und drängte sie den Flur hinunter.
Kapitel 12
Vergib einer Liebe, die nicht wissen kann,
warum sie etwas tat, und nötige sie nicht um des ´Warums`,
weil es deine Verletzung ist!
Emily Dickinson
Lucas öffnete die Tür seines Arbeitszimmers und ließ Violet den Vortritt.
Ihr Herz schlug so heftig, dass sie das Vibrieren der Schläge in der Wirbelsäule fühlte. Im Raum war es kühl, obwohl das Kaminfeuer fröhlich vor sich hinprasselte.
Ein Mann starrte in die Flammen. Er trug elegante, cremefarbene Reitkleidung, teure Schaftstiefel, und im Nacken kräuselten sich dunkle Locken.
Ein Keuchen entrang sich Violets Kehle. Der Mittdreißiger drehte sich um. Sein Lächeln war immer noch so umwerfend wie bei ihrer ersten Begegnung.
„Wie schön, dich zu sehen, Isadora“, begrüßte er sie lächelnd.
Ein Rauschen erfüllte Violets Ohren, während sie Schwärze umfing. Sie fühlte, wie ihre Knie nachgaben, dann schwanden ihr endgültig die Sinne.
„Um Himmels willen, Ihr werdet doch Geduld beweisen können, bis Miss Delacroix bei Besinnung ist“, ließ sich Lucas gereizt vernehmen.
Die Nebel um Violet lichteten sich langsam. Sie erinnerte sich vage, geglaubt zu haben, Robert Luscious, Marquis of Comberley, ihr ehemaliger Liebhaber, stünde im Arbeitszimmer von Halcyon Manor.
„Lasst mich helfen.“ Die andere Stimme war männlich und so fremd in dieser Umgebung, dass Violet erst überlegen musste, ob ihr Gefühl sie auch nicht trog.
Der zweite Mann trat ans Fußende ihrer Liegestatt, umschloss mit starken Händen die Knöchel, hob ihre Beine in die Luft und ließ ihre Röcke über ihre Knie hinabfallen.
Lucas stieß einen Fluch aus. „Nehmt Eure Hände da weg!“ Er schien ihr die Röcke über die Knöchel zu schieben und hielt sie dort fest.
Nicht willens, vor Lucas und Robert wie ein toter Fisch auf dem Sofa zu liegen oder Hof haltend auf der Récamiere zu sitzen, strampelte Violet sich frei und erhob sich so würdevoll, wie es ihr möglich war. Noch immer fühlten sich ihre Knie wacklig an, doch sie biss ihre Zähne zusammen.
Sie musterte Robert Luscious. Er sah so smart und verwegen aus wie bei ihrer letzten Begegnung. Doch zum ersten Mal versuchte sie, ihn aus den Augen einer neutralen Beobachterin zu betrachten, und sie fragte sich, wie sie ihm nur jemals hatte verfallen können. Nie zuvor war ihr die Unentschlossenheit in ihm bewusst geworden. Ein Charakterzug, der ihr fremd war. Seine auffallend dunkelblauen Augen funkelten, als er sie begutachtete. Instinktiv rückte sie näher an Lucas heran. Eine steile Falte zwischen Roberts Augenbrauen zeigte ihr, dass er es bemerkte.
„Lord Comberley“, krächzte Violet. Ihre Kehle schien eng und rau.
Roberts Augen wanderten fragend zwischen Violet und Lucas hin und her.
„Dürfte ich um Aufklärung bitten?“, ließ sich Lucas vernehmen.
Violet hob ihre Hände an die erhitzten Wangen. „Lord Pembroke, darf ich vorstellen: Robert Luscious, Marquis of Comberley, ein alter Bekannter. Lord Comberley, dies ist mein Arbeitgeber, Lucas St. Clare, Earl of Pembroke.“
Die beiden Männer taxierten einander, schließlich brach Robert den Blickkontakt ab und wandte sich Violet zu. „Liebste Isadora, wäre es möglich, unter vier Augen mit dir zu
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