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Masken der Lust (German Edition)

Masken der Lust (German Edition)

Titel: Masken der Lust (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noelle Mack
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Hunderten von Madonnen. Dazu kamen nicht wenige episch angelegte Gemälde zum Gedenken an blutrünstige Schlachten oder schaurige Begebenheiten in der antiken Götterwelt.
    Das Gefallen der Venezianer an Grausamkeit war ebenso ausgeprägt wie ihre Liebe zur Schönheit, was sie verstörend fand. Zum Glück trug Marco nicht noch durch Reden zu ihrer Verwirrung bei, wofür sie dankbar war. Wieder einmal wurde ihr klar, welchen Volltreffer das Glück mit dieser Bekanntschaft bei ihr gelandet hatte.
    Doch wie sehr sie auch sein ruhiges Benehmen schätzte, so war sie doch auch etwas gereizt – aus einem dummen, kleinmädchenhaften Grund. Seine Zuvorkommenheit war untadelig, aber eine oder zwei Schmeicheleien hätte sie mittlerweile von ihm erwartet. Immerhin hatte sie ihn mehr als einmal dabei ertappt, wie er ihren Körper beäugte. Er hatte bloß gelächelt und die Schultern gezuckt. Das war sehr italienisch und gar nicht intellektuell von ihm. Sie würde auch niemanden wollen, der die ganze Zeit tief in Gedanken versunken war.
    Aber er hatte scheinbar keine Notiz davon genommen, was sie im Ca’ Rezzonico trug, dabei hatte sie sich für ihren kunstsinnigen Vormittag ein wenig herausgeputzt. Schön, nur von der Taille aufwärts, mit einem schwarzen Bolerojäckchen aus Ripsseide aus einem New Yorker Secondhandladen und einem winzigen schwarzen Tanktop. Dazu hatte sie wieder dieselbe enge Jeans an und klassische Laufschuhe, mit der weißen Raubkatze im Sprung auf der schwarzledernen Schuhspitze.
    Der kreative Aufzug machte sich gut in Brooklyn und tat es hier auch. Ebenso die Laufschuhe. Venedig war eine Stadt der Fußgänger. An ihrem ersten Tag hier, als die Sonne schien und die Leute draußen waren, hatte sie mindestens elf Paar Schuhe Marke Puma, zwei Marke Vans und ein Paar High-Tops von Converse an den kunstgestählten Venezianern gezählt, die auf der Strandpromenade von Dorsoduro flanierten. Szenetypen waren sich doch überall auf der Welt gleich.
    Marco sah heute wie ein solcher aus, außer dass er rasiert war. Zu schade. Sie stand auf den Bartschatten, den sie vergangene Nacht gesehen hatte. Ohne sah er jünger aus, aber genauso sexy. Bei seiner glatten Gesichtshaut hätte sie ihm am liebsten auf Zehenspitzen die Wange geküsst, so, wie er sich im Café herabgebeugt und sie geküsst hatte. Es wäre ein Anfang. Hoffentlich würde er nun nicht mehr allzu lange Kavalier bleiben.
    Ehe sie am Morgen von der Herberge aufgebrochen war, hatte sie die Wirtin über Marco befragt, aber ihre Begegnung verschwiegen und nur erwähnt, von ihm gelesen zu haben. Sarah war neugierig, ob eine gewöhnliche Venezianerin wüsste, wer er war.
    Signora Dolcetti wusste es und gab sogar an, irgendwo sehr entfernt mit ihm verwandt zu sein. Möglich war es. Venedig war eine Stadt aus Vettern zigsten Grades. Sarah ließ auf sich beruhen, ob es nun stimmte oder nicht, denn das hieß jedenfalls, dass sein Name der Signora in den Klatschspalten aufgefallen war. Wie sich dann herausstellte, erinnerte sie sich sogar an Zeitungsfotos von seinem Palazzo in der Rubrik Lebensart. Der Palazzo war von innen und außen abgelichtet worden.
    Einige ihrer Auskünfte waren Sarah neu, anderes hatte sie schon erfahren. Das Neue: Marco war zweiunddreißig, restaurierte gerade seinen Palazzo, war nicht insgeheim homosexuell – derart viele Liebesaffären mit Frauen könnten schwerlich eine Tarnung sein, führte die Wirtin ernsthaft aus – und besaß zu viele Bücher.
    Sarah betrachtete sich zu diesem Zeitpunkt als hinreichend informiert, um wilden, ungezügelten Sex mit ihm zu haben. Natürlich gab es manches, was sie nicht von ihm wusste, aber sie wollte auch nicht unbedingt alles wissen.
    Es war gar nicht so einfach, aus Marco schlau zu werden. Nun ja. Das konnte man unter dem Stichwort kulturelle Unterschiede oder was auch immer ablegen. Es war ihr gleich, schließlich mochte sie ihn sehr nach nur wenigen Stunden, die sie in seiner Gegenwart verbracht hatte. Er war so herrlich aufmerksam.
    Sarah seufzte erwartungsvoll und fragte sich, ob er den ersten Schritt tun würde oder ob es ihr überlassen bliebe. Im Augenblick sah sie auf ein riesiges Gemälde von Veronese, das eine ganze Wand bedeckte, ohne es überhaupt wahrzunehmen. Als Marco vor das Bild trat, blinzelte sie und sah zum ersten Mal die Einzelheiten darin.
    Wach auf, du Döskopf, sagte sie sich. Jetzt ist die Gelegenheit da, ihn mit deinem Scharfsinn zu beeindrucken. Oder was auch immer vonnöten

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