Masken der Lust (German Edition)
vermutete, dass sie bestürzt dreinblicken sollte. Doch das tat sie nicht – sie hatte die Geschichte Venedigs im Flugzeug nachgelesen und hörte ihn gern von Liebenden und amourösen Begegnungen reden. Ihr gefiel schlichtweg der Klang seiner Stimme. «Erzähl weiter.»
«Die Schönen oder Bezaubernden hatten oft mehr als einen. Keiner dachte deswegen schlecht von ihnen. Die Männer machten es genauso, ob sie nun gut aussahen oder nicht. Natürlich lässt Geld einen Mann in Frauenaugen immer gut aussehen.»
Für diese letzte Bemerkung hatte er einen kräftigen Tritt verdient. Auch wenn sie zutraf.
«Die großen venezianischen Familien heirateten aus dynastischen Gründen oder um ihren Reichtum zu mehren. Liebe war reines Privatvergnügen.»
Neugierig betrachtete sie die Maske einer der Frauen in dem Gemälde. Sie war schwarz, ihren zierlichen Zügen nachgeformt und bedeckte ihr ganzes Gesicht. Marco folgte ihrem Blick. «Das ist eine moretta . Nur von Frauen getragen. Hier ist es nicht recht zu erkennen, aber sie wurde an einem Knopf zwischen den Zähnen festgehalten. Die Frau konnte nicht sprechen. Aber die Männer konnten sie ansprechen.»
Sarah lachte. «Das kommt mir ungerecht vor.»
«Dem stimme ich zu.»
Er nahm sie beim Arm, was sie erregend fand, und sie gingen weiter, um sich andere Bilder anzusehen. Jene der großen Kurtisanen fesselten sie. Sie bewunderte ihre wunderschönen Kleider, die Schmuckstücke, Geschenke ihrer Liebhaber, die sie angehäuft hatten, und vor allem ihr Selbstvertrauen. Der kühne Ausdruck in ihren Augen ließ ihre Porträts beinahe lebendig erscheinen – und sagte etwas über die von ihnen genossene Freiheit aus.
Sarah fragte sich, wie es um ihre sexuellen Fertigkeiten bestellt war. Wussten sie Dinge, die andere Frauen nicht wussten? Hätte sie in ihrem ganzen Leben einen einzigen ungeheuerlichen Wunsch frei, dann wäre es dieser, beschloss sie. Nämlich Kurtisane in Venedig zu sein, begehrt und geliebt von mächtigen Männern, ihr Porträt von den großen Meistern gemalt, eine Frau, die tat, wonach ihr war, als ehrenhaften Frauen noch rein gar nichts zu tun gestattet war.
Sie blieben vor einem weiteren Porträt einer Schönheit stehen. «Auch eine Kurtisane, stimmt’s?»
Er schummelte und las das Täfelchen an der Wand. «Ja, aber woher wusstest du das?»
Sarah trat näher an das Gemälde heran und begutachtete die feine Pinselführung des Künstlers. «Sie sieht eben so aus, als könnte sie jeden Mann haben, den sie wollte.»
Er nickte. «Hier hat sie sich wie nur wenige andere zu erkennen gegeben. Sonst trug man die Masken. Solange das Gesicht bedeckt blieb, konnte man tun, was einem gefiel.»
Eine erstrebenswerte Vorstellung. Sehr erstrebenswert.
«Sie sind alle so vornehm. Ich wollte, ich lebte zu ihrer Zeit. Wäre das nicht wunderbar?»
«Vielleicht.» Seine wechselhaften Augen bargen ein geheimes Feuer. Stellte er sie sich als Kurtisane vor? Sarah sah auf das Porträt einer reichgeschmückten Rothaarigen, aufwendiger gekleidet als eine Königin, die Brüste entblößt, sodass sich ihre Nippel rosafarben – ein gluterfülltes Rosa – von ihrer außerordentlich weißen Haut abhoben. Stolz auf ihre ausgesprochene Schönheit, sprang sie geradezu aus der Leinwand heraus.
«Sie trägt keine Maske», sagte Sarah.
«Vielleicht hat sie keine für nötig befunden. Ein so liebreizendes Antlitz sollte doch nicht versteckt werden, oder?»
«Wenn du es sagst.» Sarah war ein wenig eifersüchtig auf die Frau in dem Gemälde. Sie reichte nicht an deren Klasse heran und würde es auch nie tun.
«Es heißt, ein Mann sei nur dann wirklich er selbst, wenn er eine Maske trägt», sprach Marco mit leiser Stimme. «Er kann hinausblicken, aber niemand sieht in ihn hinein. So kann er die verborgensten Sehnsüchte erforschen.»
Sie bräuchte nichts zu erblicken, um diese mit ihm zu erforschen. Die Vorstellung, sich mit verbundenen Augen den nackten Körper von ihm liebkosen zu lassen, kam ihr mit bestürzender Klarheit in den Sinn. Von Dunkelheit eingehüllt zu sein und alles doppelt eindringlich zu empfinden. Nichts als seine Stimme, seine Hände und sein Körper. Es wäre exquisit lustvoll.
Sarah gab einen Seufzer von sich, und er lächelte sie an, kam mit ihr vor einem anderen Gemälde zu stehen und ließ ihren Ellbogen los.
Es sah ganz nach einem Fest aus. Feiernde waren prächtig herausgeputzt und gaben sich fröhlich dem Gespräch und der Tändelei hin – bevorzugte
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