Masken der Lust (German Edition)
Diese Sache mit dem Buch war es allerdings schon. Doch Sarah konnte ziemlich gut jemandes Charakter beurteilen. Zynismus war da hilfreich.
Wäre er aber nun … der Richtige? Nichts und niemand wartete zu Hause auf sie. Der Gedanke ließ dieselbe Traurigkeit in ihr aufsteigen wie schon kurz zuvor. Sie blickte auf das zugeschlagene Buch mit den Zaubersprüchen auf dem Nachttisch. Die Buchstaben glühten. Es wurde immer merkwürdiger.
Marco hob die Hände mit einer raschen Bewegung hoch. «Du willst mir nicht zuhören. Dir ist alles gleich.»
«Das habe ich nicht gesagt.»
Er sah sie hoffnungsvoll an. Sie parierte mit einem finsteren Gesicht. Nackt, auf männliche Weise unglaublich schön und um Verständnis flehend – sollte er nicht der Richtige sein, dann sah er jedenfalls so aus, wie sie sich den Richtigen immer vorgestellt hatte. Sie hatte sich etwas eingebrockt. Sarah rief sich ins Gedächtnis, dass sie Marco erst weniger als vierundzwanzig Stunden kannte.
«Sarah, vergib mir. Ich führe mich etwas verrückt auf, gebe ich zu. Es liegt an dir oder an diesem seltsamen Wetter oder – ich weiß nicht, woran. Vielleicht auch an dieser Sinnestäuschung. Was wir da sahen – wenn wir es sahen –, war nicht echt. Ich hätte dich nicht so viel Prosecco trinken lassen sollen, und ich hätte selbst keinen trinken dürfen.» Er klang verstimmt, war vielleicht vergrätzt, dass sie nicht zu seinen Füßen dahinschmolz.
«Weißt du, ich fange wirklich an zu glauben, dass es das Buch war.» Sie hatte das Gefühl, dass er schon wieder versuchte, sie abzulenken. Zu viele vernünftige Erklärungen neigten dazu, einander auszuschließen.
Er kletterte über sie hinweg, um aus dem Bett zu steigen. « Mamma mia , du bist unmöglich.» Er warf ihr das Büchlein zu. «Vielleicht kannst du ja einen Zauber ausüben, der die Luft reinigt. Ich werde jetzt duschen und dann eine Kanne Kaffee kochen, falls es damit nicht klappt.»
Sie fing es auf, entschlossen, die Herausforderung anzunehmen, und fühlte sich mit dem alten Buch in Händen eigenartig zuversichtlich. Plötzlich öffnete sie den Mund, und Worte kamen heraus, von denen sie hätte schwören können, dass es nicht ihre eigenen waren. «Dein Wer-auch-immer-sieben-mal-siebenten-Grades, der Alchemist, wusste, was er tat. Auf mich hat dieser Zauber gewirkt.»
Das Bedeutsame dieser Bemerkung schien ihm gänzlich zu entgehen. Sie war drauf und dran, ihm zu erzählen, dass sie sich anscheinend gerade in ihn verliebte. Heiliger Bimbam. Nur gut, dass er im Augenblick unachtsam war, wie typisch männlich. Wahrscheinlich musste er pinkeln.
«Es war Schicksal, Marco. Ha!»
«Nein», gab er tonlos zurück. «Jemand Abergläubisches könnte meinen, mir sei bestimmt gewesen, dieses Buch zu finden, aber das war nicht mehr als Zufall.»
Sarah hielt den schmalen Band in Händen, ohne ihn aufzuschlagen, und bewunderte Marcos strammen Hintern, während sein Besitzer in Richtung Bad ging. Sie hörte die Spülung und anschließend launische venezianische Rohrleitungen scheppern. Dampfschlieren kräuselten sich unter der Badezimmertür hindurch. Er nahm eine lange heiße Dusche.
Gut. Das verschaffte ihr ein paar Minuten.
Sie ging ans Regal, suchte und fand ein venezianisches Wörterbuch und ließ sich damit und mit dem Buch nieder.
Sarah hatte jeden Zauberspruch so gut sie konnte gelesen und darauf geachtet, dass sie keines der unverständlichen Wörter aussprach, als sie von dem Buch aufblickte und erstens ein edles Paar Knie entdeckte, zweitens große Männerschenkel und drittens einen langen weichen Schwanz, der in schwarzem Kraushaar nistete, das soeben vom Besitzer des Schwanzes gründlich trockengerieben wurde.
Marco machte eine finstere Miene und wollte ihr mit dem Handtuch einen Schlag verpassen. «Was denkst du dir eigentlich dabei?»
«Du hast gesagt, dass ich mir dein kleines Spukbuch ansehen soll. Ich werde immer noch nicht schlau daraus. Nicht mal, was die Aussprache angeht.» Sie formte die Silben eines Zauberspruchs auf Seite sieben mit den Lippen nach.
«Aaah …» Marco gab einen langgezogenen Stoßseufzer von sich. «Du hast es getan.»
«Was? Was habe ich getan?» Ein kriechendes Geräusch ließ sie verwundert zur Decke blicken, die sich vor ihren Augen verwandelte. Verschlungenes, vergoldetes Rankenwerk kroch buchstäblich an den Balken entlang und breitete sich wie Efeu in alle Richtungen aus. Das altertümliche Mobiliar im Zimmer veränderte sich ebenfalls
Weitere Kostenlose Bücher