Masken der Lust (German Edition)
geschliffener denn je, aber diese Seht-her-zu-mir-Nummer nervte sie höllisch. Ihr erster Ausflug aus dem Palazzo, und schon stellte sie fest, dass die Venezianerinnen ohne Umschweife anfingen zu tändeln. Sie versetzte ihm einen Hieb mit dem Fächer.
Verblüfft setzte er sich auf. «Wofür war das denn?»
«Ein Präventivschlag. Du musst ihnen nicht zurückwinken, weißt du?»
Er richtete sich kerzengerade auf und gab ihr einen Kuss. «Sehr schön. Ich werde die Hände zum Gebet falten und jeder Versuchung trotzen.»
«Gar so weit musst du nicht gehen.»
Sie glitten an eine Stelle, wo etwa zwanzig Segelboote miteinander vertäut lagen, die schwer mit Melonen beladen waren. Andere Boote kamen hinzu und setzten die Einkaufswilligen ab. Diese drückten und beschnüffelten die Früchte und befragten die Landwirte, die ihre Ernte in die Stadt gefahren hatten. Sarah dachte im Stillen, dass die Fragen sich wahrscheinlich nicht geändert hatten. Bauer Gianni, woran merke ich, dass sie reif ist?
«Sie kommen von Sant’ Erasmo, einer Insel, nicht weit entfernt. Sie ist noch Teil von Venedig, aber viel ruhiger», sagte Marco. «Ganz anders als hier.» Sein Blick schweifte mit belustigtem Interesse über den quirligen Wassermarkt.
«Eine andere Welt, hm? Davon gibt es so viele in dieser Stadt. Und so viele Inseln.»
«Ja. Einhundertachtzehn, um genau zu sein.»
«Wow.» Das konnte man schwerlich den Ausruf einer venezianischen Dame nennen, aber Sarah konnte deren Mundart nicht so kurzfristig nachahmen.
Venedig erschien ihr als eine Verquickung vieler verschiedener Orte, die sich in unerwarteten Augenblicken offenbarten, gewöhnliche Leute und solche von hohem Rang, vermengt in einem Fluss, der ebenso beständig und veränderlich war wie das Wasser, das sie alle umschloss. Es war erstaunlich, wie sehr die Stadt des achtzehnten Jahrhunderts dem Venedig glich, in dem sie angekommen war. Diese Leute könnten sich zurechtfinden, wenn sie ebenso weit in der Zeit vorangehen würden, wie sie zurückgegangen war. Zum einen gab es keine Hochhäuser, weil der sumpfige Untergrund Venedigs große neue Gebäude nur noch schneller einsinken ließe. Von allen Städten der Welt bliebe Venedig – würde bleiben , verbesserte sie sich im Geiste – seinem Erscheinungsbild noch für viele künftige Generationen treu.
Als sie, stolze Besitzer mehrerer gewaltiger Melonen, den Markt hinter sich ließen, drangen sie tiefer in die Stadt vor und hielten Ausschau nach einem Laden, der Malfarben und Zeichenpapier verkaufte.
Marco wusste genau, wo er sich befand, und das war gut so, denn allein hätte sie niemals den winzigen Platz gefunden, der sich zum Kanal hin öffnete.
Sie sah sich nach Papier um, klemmte sich einen Doppelbogen davon unter den Arm und nahm einen ausgeklügelten mechanischen Griffel in die Hand, der mit dünnen Bleistift- und Farbminen in Sepia und Schwarz bestückt wurde. Es gab handgeschöpftes, marmoriertes Papier, sorgfältig auf Gestelle gehängt, das sie nicht brauchte, aber trotzdem bestaunte. Und dann waren da die Farben.
Sarah besaß nicht genug Fachkenntnis, um sich ihre eigenen zu mischen, aber die säuberlichen Reihen von Schachteln, die mit leuchtenden Pulvern in jedem denkbaren Farbton gefüllt waren, boten einen wundervollen Anblick. Sie schüttelte den Kopf, als der Ladenbesitzer herüberkam, um ihr behilflich zu sein, und reichte ihm die von ihr ausgewählten Sachen. Marco zahlte, und sie stiegen wieder in die Gondel.
Als sie auf den Canal Grande hinausfuhren, sah sie Galeeren, aus deren bauchigen Rümpfen Hunderte von Rudern ragten, die sich im Gleichtakt bewegten. Große Schiffe ankerten vor den Palazzi und Häusern, die viel größer als das Haus von Marco waren, viele aus weißem Marmor, der in der Sonne schimmerte. Viele waren mit feingliedrigem gotischem Maßwerk mit schlanken Spitzbögen verziert, die die Meeresbrisen in die Loggien aus pastellfarbenem Stein einströmen ließen.
Vor ihnen lag die prächtige Basilica di San Marco, die Markuskirche. Sie konnte ihre fünf zwiebelförmigen Kuppeln erkennen, jede mit einem Kreuz geschmückt, und die Spitze des Campanile, der sich hoch über die Piazza erhob.
«Unser erster Halt», sagte Marco freundlich. «Natürlich hast du sie schon gesehen –»
«Ob du’s glaubst oder nicht, nein. Als ich in Venedig ankam, bin ich dort aus dem Vaporetto ausgestiegen, aber es waren einfach zu viele Leute da.»
Die wogenden Touristenmassen hatten das
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