Masken der Lust (German Edition)
hätten sie schon immer dort gewohnt, ein weiterer Aspekt an diesem Ritt auf dem fliegenden Teppich, der sie aus der Fassung brachte. Er meinte, sie hielte man für eine Ausländerin und ihn für einen Sohn der Stadt, aber wie genau sie und Marco die Identitäten von Leuten annehmen konnten, die vor so langer Zeit gelebt hatten, blieb ihr unklar. Falls dies nicht auch eine doppelte Sinnestäuschung war. Oder er hatte sich in einen seiner Vorfahren verwandelt. Wozu wurde sie dann gemacht? Darüber wollte sie nicht einmal nachdenken.
Sarah nahm ihre Handschuhe von der Zofe entgegen, ging die Treppe hinunter und hob dabei ihre Rocksäume, als hätte sie solche Kleider ihr Leben lang getragen.
Höflich von den Bediensteten übersehen, von denen viele wahrscheinlich den ganzen Tag lang Fußböden scheuern und Wäsche kochen mussten – weswegen sie sich immer noch schuldig fühlte –, wartete sie im Erdgeschoss von Marcos Palazzo. Auch hier herrschte derselbe Überfluss vor. Allenfalls war das Mobiliar unten noch verspielter. Natürlich war Venedig damals nicht so oft überflutet worden. Der Gedanke, wie diese sagenhafte Stadt in der Lagune versank, war bedrückend. Sie war froh über die Gelegenheit, Venedig so zu sehen, wie es war: eine mächtige Stadt, die mit ihrem Reichtum prunkte, gleich, wie viele Gesetze erlassen wurden. Ein paar hatte Marco erläutert: Gondeln mussten schwarz sein, Ehefrauen durften sich nicht so gewagt kleiden wie Kurtisanen, und so weiter.
Aber um mit ihm auszugehen, darauf bestand er, hatte sie sich wie eine Frau des Hochadels anzuziehen. Er fand für sie ein gesetzt wirkendes Kleid und die erforderliche Unterwäsche in einem der armadi , der Schränke, die auf jedem Stockwerk des Palazzo standen und zum Bersten mit Kleidung und Haushaltswaren angefüllt waren. In einem Geheimfach fand er außerdem Golddukaten und Scudi und rief nach ihr.
«Aha! Mein Vater hat mir erzählt, dass hier Geld versteckt wurde. Zu unserer Zeit war es leer. Aber sieh dir das an!» Er zog einen der kleinen Beutel auf, und sie sah den warmen Schimmer der Goldmünzen darin. «Reichlich für unseren Bedarf.»
«Hmm. Sind noch mehr Kleider in meiner Größe da?»
«Wir können eine Näherin kommen und sie dir anpassen lassen. Es hat doch sein Gutes, dass es so viele Cousinen in der Familie gab, hm?»
Solange keine Geliebte das Kleid vergessen hatte vor lauter Eile, zu ihrem, ebenfalls auf Abwegen befindlichen Gatten zurückzukehren, dachte Sarah verstimmt.
Marco hatte ihre Frage nicht beantwortet, welche Cousine das Kleid getragen hatte. Vielleicht wusste er es nicht.
Aber Sarah hatte genug über venezianische Gepflogenheiten gelesen, um sich klar zu sein, dass Männer, alleinstehende wie verheiratete, sich so viele Geliebte hielten, wie sie sich leisten konnten. Doch da sie eben erst in der Epoche eingetroffen waren, hätte er keine Zeit gehabt, sich auch nur eine einzige zuzulegen.
Sarah hatte die Absicht, es dabei zu belassen. Als Kurtisane konnte sie ihn mit ihrer sexuellen Anziehungskraft, ihren erotischen Kunstgriffen und dergleichen mehr in Bann halten. Vielleicht müsste sie dazu ein paar Bücher in die Hand nehmen und das eine oder andere nachlesen. War es möglich, die Kurtisane eines einzigen Mannes zu sein? Jedenfalls war sie ganz bestimmt die Frau eines ganz bestimmten Mannes.
Nun, mit dem schwarzen Umhang, das wundervoll lange Haar aufgesteckt und unter einem Schleier verborgen, war sie vor allem eine ehrbare Erscheinung. Auf seinen Rat hin wollte sie keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen, wenn sie in seiner Gondel ausfahren würden, obwohl es sie ein wenig verdross, dass er über ihre Garderobe entschied. Aber sie war auf die Sehenswürdigkeiten erpicht, und Marco hatte versprochen, ihr Fremdenführer zu sein. Das Buch zu finden, das sie dahin zurückbringen würde, wo sie gewesen und wer sie beide wirklich waren, konnte noch ein Weilchen warten.
Er kam die prachtvolle Marmortreppe herunter und sah genauso ehrbar aus, bis hin zu seiner selbstzufriedenen Miene. Den anderen Marco mochte sie lieber, aber sie sagte nichts.
«Bellissima. Da bist du ja. Komm.»
Sie reichte ihm ihre Hand, die in einem Handschuh steckte, und er geleitete sie nach draußen, wo der Gondoliere auf dem Heck des schlanken schwarzen Boots stand. In seiner Mitte hatte das Boot einen kuppelförmigen Aufbau, unter dem sie sich vor Wind und Wetter – und zudringlichen Blicken – zurückziehen konnten.
Das Einsteigen sollte
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