Masken der Lust (German Edition)
gibt alle möglichen Gesetze, die dein Verhalten außerhalb dieses Hauses regeln, aber die Hüter des öffentlichen Anstands sind anscheinend nicht imstande, sie durchzusetzen. Meine Diener stehen dir zur Verfügung, wenn du ausgehen willst. Ein Mann in meiner Stellung hat zwei Gondolieri – und natürlich zwei Gondeln –, und sämtliche niederen Arbeiten werden von den Lakaien besorgt. Wie gefällt dir das?»
Sie rätselte, ob er das alles geplant hatte. Aber er konnte nicht gewusst haben, welchen Zauberspruch sie wählen würde. Sie hatte es ja selbst nicht gewusst. Das Seltsamste an alledem war, dass es sich völlig normal anfühlte, in einer anderen Zeit zu leben, nachdem die anfängliche Bestürzung abgeklungen war. Doch was die Erfüllung ihres Wunschs im Museum anging, eine Kurtisane zu werden … damit war sie sich nicht so sicher.
Zum einen wurden Wünsche üblicherweise gewährt, kaum dass sie ausgesprochen waren. Danach erst kam das Kleingedruckte in dem Zweijahresvertrag, den man nicht gelesen hatte, zum Tragen. Ein Wunsch konnte schlimmer enden als die Vertragsbindung an einen Mobilfunkdienstleister, sehr viel schlimmer. Dennoch würde sie ihm vertrauen müssen, dass er sie zurück in die profane Welt des einundzwanzigsten Jahrhunderts brächte, und zwar aus dem schlichten Grund, weil sie niemanden sonst darum bitten könnte.
«Solange du mein einziger, äh, Kunde bist, komm ich mit dem Dasein als Kurtisane klar. Schmuck, Kleider, Aufmerksamkeit – her damit. Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich mich daran gewöhnen könnte, wenn andere alles für mich täten.»
«Sarah, das musst du. Du bist nicht in deiner eigenen Welt und Zeit. Andernfalls läufst du Gefahr, für eine Spionin oder, schlimmer noch, eine Hexe gehalten und von den Geheimagenten verhört zu werden, die dem Rat der Zehn dienen. Viele sind denunziert worden und über die Seufzerbrücke ins Gefängnis gegangen, und sie kehren selten zurück. Nein, du musst dich verhalten, wie es eine Venezianerin täte, und das Gebaren einer Dame nachahmen. Wenn du mit mir allein bist, kannst du ganz du selbst sein. Ansonsten heißt es aufpassen und dazulernen. Fragen darfst du keine stellen.»
«Aber ich –»
«Wenn sie dich für eine Ausländerin halten, wird dich das hinreichend schützen. Venedig war schon immer von Fremden überlaufen.»
«Herzlichen Dank», sagte sie ungehalten.
Er legte ihr einen Finger an die Lippen. «Wenn du dich aus diesem Haus wagst, dann trag eine moretta . So wird keiner von dir erwarten, dass du sprichst.»
Sie erinnerte sich an die schwarze Samtmaske für Frauen, von der er erzählt hatte, dass sie an einem Knopf zwischen den Zähnen gehalten wurde.
«Und wenn ich mit dir einen Ball besuche?» Das wäre spannend. Sie wollte ein gefährliches Pflaster in einer längst vergangenen Zeit betreten. Die Verruchtheit der venezianischen Gesellschaft war legendär.
Marco sah entzückt aus. «Hast du beschlossen zu gehen?»
«In diesem Jahrhundert, ja.» Keine Kameras, ob digital oder analog. Keine Klatschreporter. Keine peinlichen Fotos von ihr in einem gemieteten Couturekleid, verwirrt und von der schillernden Umgebung verunsichert dreinblickend. Keine Fotos, die als Downloadfenster aufsprangen.
«Dann werden wir heute den revendigola aufsuchen.»
«Den was?»
«Er vermietet und verkauft Ballkleider an jene, die mit wenig Geld eine gute Figur machen wollen.»
Sarah rappelte sich zu einer sitzenden Haltung auf. Er langte hoch und befummelte ihre Brüste, stützte sich auf einen Ellbogen, um einen Nippel in den Mund zu saugen, doch sie stieß ihn weg, und der Nippel flutschte heraus. Sie trocknete ihn mit einem Zipfel des Lakens ab. «Nicht so schnell. Ich miete kein Ballkleid. Ich hole mir doch keine Läuse aus dem achtzehnten Jahrhundert. Du schaffst gefälligst einen Schneider in diesen Palazzo und zahlst für ein neues.» Ihr gebieterischer Ton überraschte ihn. «Sonst wird dir meine Gunst vorenthalten.» Ihre was? Hatte sie das gerade wirklich gesagt?
Marco lachte lauthals auf. «Gesprochen wie ein echte Kurtisane. Du spielst die Rolle gut, Sarah.»
Sie warf ihm einen hochmütigen Blick zu. Er nahm sie in die Arme und begann das Liebesspiel mit ihr aufs Neue. Sie beschloss, sich nicht zu wehren.
Anschließend, gebadet und von einer schweigenden Zofe angekleidet, begutachtete sie sich in einem Spiegel. Sie war eine Venezianerin geworden.
Die Diener und auch sonst jeder behandelten sie und Marco, als
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