Masken der Lust (German Edition)
Venedig.
Die frische Luft und der strahlende Sonnenschein klärten ihren Verstand.
«Was willst du als Allererstes tun, wenn wir in die Wirklichkeit zurückkehren?», fragte sie.
Er ließ Sand mit einem Fußtritt aufspritzen. «Für mich fühlt sich das hier wirklich an.»
«Du weißt, was ich meine. Unsere eigene Zeit.» Es musste doch etwas geben, das ihm daran gefiel.
«Hm. Nach meinen E-Mails werde ich nicht sehen. Wir sind weit über zweihundert Jahre zurückgegangen – kannst du dir das vorstellen?»
«O mein Gott.» Sie schlug sich die Hand vor den Mund, als ihr schlagartig ein Gedanke kam. «Werden wir etwa steinalt sein, wenn wir zurückkommen?»
«Das glaube ich nicht. Aber du kannst Veronica fragen. Sie hat solche Reisen schon unternommen und sieht stets …» Er beendete den Satz nicht.
«Wunderschön aus. Ich weiß, du willst es nicht sagen, aber das ist sie bestimmt.»
«Nun, ja.»
Ein paar Minuten lang gingen sie schweigend weiter. In der Ferne sah Sarah Pferde galoppieren, ihnen voraus ein Leittier mit Reiter. Sie blieben dicht beieinander, kamen näher, und Sarah konnte durch die Fußsohlen ihre stampfenden Hufen auf dem Sand spüren.
«Wow. Sieh dir das an. Ich wollte, ich könnte reiten.»
«Du kannst es. Seine Pferde sind sanftmütig.»
«Du kennst ihn?» Jetzt konnte Sarah deutlich ihre im Wind wehenden Mähnen und Schweife sehen. Ihr schienen sie wild zu sein, aber das lag vielleicht an ihrem Galopp. Auf Zuruf durch den Reiter wurden sie allmählich langsamer. Sie zählte im Ganzen vier.
«Ja.»
Als sie Sarah und Marco erreichten, gingen die Pferde im Schritt. Ihre Mäuler waren schaumbefleckt, und ihre gefühlvollen braunen Augen hatten einen lebhaften Blick. Ihr Fell war überall braun mit rätselhaft grünlichen Stellen. Der Reiter, der sie mit entblößter Brust anführte, war ziemlich groß und viel kräftiger gebaut als die schmucken Edelleute Venedigs. Und sie hatte geglaubt, Marco sei die einzige Ausnahme von dieser Regel.
«Ja, er ist es. Daniel!», rief er aus.
Barfuß und nur in eine zerlumpte Hose gehüllt, lenkte Daniel sein Pferd in ihre Richtung. Da er ohne Sattel ritt, wirkte er wie ein Teil des wunderschönen Tieres und heldenhaft wie das Marmorstandbild eines Gottes.
Er sah zu Sarah hin, und sie musste den Blick abwenden. Seine Augen waren dunkel und samtig wie auch seine Haut. Ein wenig schämte sie sich, Marco aus dem Hinschauen einen Strick gedreht zu haben. Manchmal musste man sich einen schönen Menschen einfach ansehen.
Die Männer begannen ein Gespräch, das sich nicht einmal venezianisch anhörte. Sarah vermutete, dass die vorgelagerten Inseln jede ihren eigenen Dialekt und ihre eigenen Gebräuche aufwiesen. Einleuchtend wäre es.
«Er sagt, dass du reiten darfst», sagte Marco.
«O nein», antwortete sie hastig. «Nicht in Kleid und Hut. Ich sähe lächerlich aus. Außerdem weiß ich nicht, wie das geht.»
«Das Pferd wird es dir beibringen.»
Sie schüttelte den Kopf. «Ich kann mich nicht mit Pferden verständigen. Ich würde sie nicht verstehen.»
«Sarah, vertrau mir. Dies sind weder gewöhnliche Pferde, noch ist er ein gewöhnlicher Mann.»
«Das sehe ich auch –» Sie unterbrach sich. «Noch mehr Zauberei?»
«Ja. Ein wenig.»
Die Pferde standen reglos da und beobachteten sie. Sarah hatte das unheimliche Gefühl, sie schon einmal gesehen zu haben. Blitzartig ging es ihr auf. Ihre stolze Haltung, die gleichmäßige Farbe und die Form ihrer Köpfe – sie stimmten mit den berühmten Bronzerössern über der Tür der großen Basilika überein.
Sie stimmten nicht überein. Sie waren es. «O mein Gott. Das ist nicht zu fassen.»
«Du kannst dich glücklich schätzen, die Pferde von San Marco laufen zu sehen. Sie brauchen es. Weshalb glaubst du, sehen sie so lebendig aus?»
«Natürlich. Wer wollte schon die ganze Zeit über einer Kirchentür festsitzen?»
Sie legte Schal und Hut ab. «Soll ich das Kleid raffen? Wirst du mir aufhelfen? Ich weiß nicht einmal, an welcher Seite – oh!»
Marco hob sie an, und unwillkürlich streckte sie ein Bein weit in die Höhe, um damit über den Pferderücken zu kommen. Er setzte sie einigermaßen behutsam ab. Das bauschige Kleid rutschte ihr die Schenkel hoch. Sarah tätschelte die Mähne des Pferds, das aus geblähten Nüstern schnaubte.
Sie hörte auf zu tätscheln. «Warum tut er das?»
«Weil er’s kann. Deshalb tun Pferde eine ganze Menge. Los mit dir. Er wird dir nicht wehtun.»
Daniel
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