Masken - Unter magischer Herrschaft: Roman (German Edition)
geschlichtet werden kann.«
»Das ist eine wunderbare Fähigkeit.« Ferins Gedanken wanderten zu dem Gespräch in der Hütte zurück. »Du hast mich gerettet«, stellte sie fest.
Nolina strich ihr über die Wange. »Du hast dich selbst gerettet, Ferin.«
Das hatte sie gewiss nicht, doch sie wollte nicht widersprechen. »Wie nennt man eine solche Gabe?«, fragte sie stattdessen.
»Mein Talent hat keinen Namen. Akur bezeichnet mich als die Mutter, und das trifft es wohl am ehesten.«
Sofern das überhaupt möglich war, hatte sich Nolinas Lächeln noch verstärkt. Anscheinend mochte sie diesen Ausdruck, oder vielleicht mochte sie auch nur Akur. Sie wandte sich wieder zum Gehen, und Ferin beeilte sich, ihr zu fol-gen.
»Akur ist also ein Kämpfer?«, fragte sie.
»Ja, der beste hier im Dorf. Er ist mit dem Degen ebenso gewandt wie mit Pfeil und Bogen oder mit dem Dolch. Auch seine Faust ist mächtig.«
»Und Tamir?«
»Seine Gabe solltest du bemerkt haben, sie wohnt in seiner Zunge und seinem Geist. Er ist ein Redner. Seine Worte besänftigen, befehlen, trösten, verletzen – je nachdem. Er ist fähig, die Gedanken anderer zu beeinflussen.«
Ferin schüttelte den Kopf. »Unglaublich.«
»Ja, doch es ist unsere wahre Natur.«
»Niemand weiß etwas davon. All die Pheytaner in Laigdan oder den anderen Städten. Sie wissen nichts über ihre Herkunft oder über ihre Fähigkeiten.«
»Du siehst also, wie wichtig es ist, unser Wissen zu bewahren und es mit möglichst vielen Pheytanern zu teilen.«
Inzwischen hatten sie den Dorfplatz erreicht. Die vielen Holzhütten standen im Halbkreis nebeneinander. Bunte Tücher verhängten die Eingänge, die alle zur Mitte gerichtet waren, zur Feuerstelle, deren schwarze, erkaltete Asche noch vom gestrigen Abend erzählte. Vor den Hütten war genügend Raum, um sich aufzuhalten, und auch dahinter schloss der Dschungel erst nach gut fünf Metern seine Arme um das Dorf.
»Und da sind wir wieder«, sagte Nolina. »Alle Pfade führen strahlenförmig vom Zentrum weg, gabeln sich und treffen einander. Hast du ihren Verlauf einmal im Kopf, findest du den Rückweg ganz leicht. Du kannst dich gar nicht verirren.«
Dieser Erklärung mochte Ferin noch nicht so recht glauben, das Netz der Wege wirkte wie das reinste Labyrinth auf sie. Dankbar atmete sie tief durch. Auf dem Dorfplatz war es hell, das Sonnenlicht erreichte ungehindert die festgestampfte Erde und trieb die Nässe in den Wald zurück. Hier herrschte ohne Zweifel das angenehmste Klima im Dschungel.
»So. Nun sollten wir uns um neue Kleidung für dich kümmern.« Nolina musterte Ferins ehemals weißes Kleid. »Das hier mag ja sehr hübsch gewesen sein, aber ich denke, es hat ausgedient. Außerdem sind Hosen viel praktischer.«
Ferin brauchte ihr Kleid nicht näher zu begutachten. Ihr Blut hatte den rechten Ärmel besudelt, die lange Reise durch die Staubwüste und der Ritt nach Pheytan hatten ihr Übriges getan. Sie war sehr froh über Nolinas Angebot, wenngleich sie sich mit dem Ersatz nicht wirklich anfreunden konnte. Ausgerechnet Hosen! Keine Frau in Laigdan trug Hosen, es war ganz und gar unziemlich, sich wie ein Mann zu kleiden. Hier im Dschungel aber war es gang und gäbe, sie hatte alle Frauen in Hosen gesehen. Gut, sie trugen darüber ein Tuch, etwa knielang um die Hüften gewickelt, doch im Endeffekt machte das keinen großen Unterschied.
»Da fällt mir ein«, riss Nolina Ferin aus ihren Überlegungen, »möchtest du ein Bad nehmen?«
»Ein Bad? Ich weiß nicht recht.« Ferin zögerte. Sie hatte sowieso schon das Gefühl, unter Dauerberegnung zu stehen, ein heißes Bad war das Letzte, was sie jetzt wollte. Obwohl – sauber fühlte sie sich auch nicht gerade. Wo konnte es hier wohl einen Badezuber geben? Das Trinkwasser holten die Pheytaner von einer nahen Quelle hinter dem Dorfplatz. Nolina hatte ihr die Stelle gezeigt, es würde bestimmt einen halben Tag dauern, genug Wasser für ein Bad zu schöpfen.
»Aber ja doch. Ein Bad wird dir guttun«, ermunterte Nolina sie. »Aber zuerst die Kleidung. Niva hat bestimmt etwas Passendes für dich. Komm mit.«
Wenig später waren sie wieder unterwegs. Der Kleiderstapel auf Ferins Armen konnte sich sehen lassen: zwei weiße Hemden und ein lichtblaues, alle drei mit Stehkragen und im Ausschnitt zu schnüren, sowie die angekündigte Hose, die zwar aus kühlem Leinen gefertigt war, aber um ihre Taille deutlich zu locker saß. Ergänzt wurde ihre neue Ausstattung durch
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