Masken - Unter magischer Herrschaft: Roman (German Edition)
und Tücher an den Eingängen befestigt. Anscheinend sollten bald weitere Pheytaner zu ihrer Gruppe stoßen. Wo diese herkamen, hatte Ferin noch nicht herausfinden können.
Rhys hatte darauf bestanden, Ferins »Schulung in Sachen Waffen«, wie sie ihre kleinen Lektionen inzwischen nannte, auch an diesem Nachmittag fortzusetzen. Und so standen sie vor seiner Hütte und besprachen Bauart und Funktion von Pfeil und Bogen. Eben hatte er ihr erklärt, wie sie den Bogen spannen musste, als sich sein Gesichtsausdruck verhärtete. Ferin drehte sich um, folgte seinem Starren. Dann entdeckte sie ihn, nur wenige Schritte von ihnen entfernt: den Magier Sobenio.
Er war nicht bloß ein seltsamer Mann, wie Jasta es ausgedrückt hatte, er sah auch seltsam aus. In den Geschichten aus ihrer Kindheit wurden Magier als stattliche Männer mit weißen Bärten, klugen Augen und gutmütigem Lächeln beschrieben. Sie trugen schwarze Umhänge, stützten sich auf Stöcke und retteten die Welt vor dem Bösen. Sobenio passte nicht in dieses Klischee. Sein Aussehen schien von vornherein jeglichen Gedanken an magische Fähigkeiten in Abrede zu stellen.
Er war ein dürrer Pheytaner und sehr groß, was den Eindruck, dass er nur aus Haut und Knochen bestand, noch verstärkte. Seine Kleidung hing formlos an ihm herab, und er trug keine Schuhe. Noch niemals hatte Ferin so große Füße gesehen. Seine Zehenglieder waren beinahe so lang wie Finger.
Ihr Blick wanderte wieder hoch zu seinem Gesicht, das fast frei von Malen war. Nur der breite Riss auf der Nase, der sich über seinen Augenbrauen bis zu den Schläfen hin fortsetzte, und seine bläulichen Lippen kennzeichneten seine Herkunft. Sein Schädel war kahl, die großen Ohren standen weit ab, und in den Ohrläppchen steckte jeweils ein weißer, nadelförmiger Stift. Sind das etwa Knochen?, fragte Ferin sich entsetzt. Vom Kinn hing ihm ein Bart bis auf die Brust, den er zu einem dünnen Zopf geflochten und mit bunten Perlen geschmückt hatte, ganz ähnlich dem ins Haar geflochtenen Brautschmuck der Pheytana. Seine stechend hellen Augen fingen ihren Blick auf und hielten ihn fest.
»Mach den Mund wieder zu«, flüsterte Rhys ihr ins Ohr. Sie schrak hoch und schloss hastig die Lippen.
Jetzt trat Tamir auf Sobenio zu, und seine stattliche Erscheinung ließ das Äußere des Magiers gleich noch wunderlicher wirken. Die beiden begannen ein Gespräch und ließen sich vor Tamirs Hütte nieder.
»Wollen wir fortfahren?« Rhys’ Miene war starr. Was immer er Sobenio gegenüber empfand, heute hielt er es gut verborgen.
Ferin nickte und lenkte ihre Konzentration wieder auf Rhys und den Bogen, doch der Gedanke an den Magier nistete in ihrem Hinterkopf.
An diesem Abend war die Stimmung unter den Pheytanern nicht ganz so gelöst wie sonst. Lag es an Sobenios Anwesenheit? Oder war es auf die Schwüle zurückzuführen, die wie ein dichter Teppich über dem Dorfplatz schwebte und selbst die Mücken taumeln ließ?
Es hatte sich nicht im Geringsten abgekühlt, die Nacht unterschied sich vom Tag nur durch das Fehlen von Licht. Sie hielten das Feuer niedrig und den Kreis groß. Ohnedies hatten sie so lange wie möglich mit dem Essen gewartet; es war bereits stockdunkel geworden, als sie begannen.
Ferin hatte keinen rechten Hunger. Sie aß nur einige Bissen Brot und Früchte, damit Nolina, die sie bei jeder Mahlzeit genau beobachtete, auf ihre argwöhnischen Blicke verzichten konnte. Sie schien dem Frieden nicht so recht zu trauen. Dabei konnte Nolina unbesorgt sein, der Wunsch zu sterben war seit jenem Gespräch in der Hütte nicht wieder aufgeflammt.
In Ferins Kopf brodelte es, abwechselnd rätselte sie über Rhys und Sobenio nach. Der junge Pheytaner saß an ihrer rechten Seite wie sonst auch und hatte sich noch kein einziges Mal zu Wort gemeldet. Sie vermisste seine Scherze und sein allabendliches Geplänkel mit Akur. Aber dieser hatte mit Jasta den Platz gewechselt und war mit Tamir und Sobenio in eine leise Unterhaltung vertieft. Ferin wusste nicht, was sie von dem Magier halten sollte. Sein Aussehen und sein eigenartiges Gehabe wirkten einschüchternd auf sie. Erst ein einziger Mann hatte sie in gleicher Weise verstört: der Gán.
Als die Flammen alles Holz verzehrt hatten und nur noch ein Haufen Glut zurückgeblieben war, rückte Tamir in die Mitte.
»Wie ihr wisst«, begann er ohne jede Ankündigung, »wächst die Zahl gefangener Pheytaner in den Lagern stetig. Wir können und wollen das nicht
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