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Maskenball

Maskenball

Titel: Maskenball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Kuesters
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den Sinn noch zusammen. Warte.« Lisa überlegte kurz. »Genau, ich habs. ›Verse sind nicht, wie die Leute meinen, Gefühle, es sind Erfahrungen.‹ Rilke hat wohl eine besondere Form des Symbolismus entwickelt. Dinggedichte. Es gehe dabei nicht um zufällige Wahrnehmungen, sondern um Dinge und Erscheinungen, die deutlich für sich selbst sprächen. Was immer das genau heißen mag. Mehr Informationen soll es in einer von Reich-Ranicki herausgegebenen Sammlung mit 33 Rilkegedichten samt Interpretationen geben. Bringt dich das weiter?«
    »Ich weiß nicht. Auf den ersten Blick kann ich mir keinen Reim darauf machen.« Frank bemerkte das etwas schräge Bonmot nicht. »Hätte im Deutschunterricht besser aufpassen sollen. Zuerst habe ich gedacht, das mit den Versen hat nichts wirklich Gravierendes zu bedeuten. Dann war ich mir mit Ecki sicher, der Täter will uns mit dem Gedicht einen Hinweis auf sich oder sein Motiv geben. Und jetzt weiß ich, dass ich nichts weiß. Irgendeine Botschaft muss in den Zeilen stecken. Und ich werde die Bedeutung schon noch herausfinden.«
    »Ein bisschen zusätzliche Bildung kann ja nicht schaden«, neckte Lisa.
    »Bildung, das ist das Stichwort. Was macht eigentlich Krüger? Ich habe ihn den ganzen Tag noch nicht gesehen. Er macht sich rar. Ein netter Gast, der kaum auffällt. Wie lange will er eigentlich noch bleiben? Nicht, dass ich ihn verjagen möchte.«
    »Herr Krüger ist wirklich ein netter Mann. So gebildet und so freundlich. Er hat bei meinen Schülern einen wirklich tiefen Eindruck hinterlassen. Und das hat nicht nur mit dem Thema Nazis zu tun. Allein seine Art hat die Schüler angesprochen. Du hättest mal die Mädels sehen sollen, wie zuvorkommend sie waren. Herr Krüger hier, Herr Krüger da. Noch einen Tee, Herr Krüger? Kann ich Ihnen helfen, Herr Krüger? Und selbst die Jungs waren wie ausgewechselt. Keine Spur von überheblichem Machoverhalten. Herr Krüger ist eine echte Bereicherung, auch für mich. Wir können prima miteinander reden. Er hat viel Verständnis für unsere Not, die wir mit unseren Schülern haben. Und er hat auch ein Gespür für private Themen. Er hat so eine Art, ich könnte ihm stundenlang von mir und meinem Leben erzählen.«
    »Pass auf, dass ich nicht eifersüchtig werde.«
    »Ja, du könntest dir ruhig eine Scheibe von ihm abschneiden. Er hat so eine angenehm antiquierte Art, mit Frauen umzugehen. Ein echter Gentleman. Ich frage mich, ob er auch so geworden wäre, wenn er nach dem Krieg nicht ausgewandert und in Breyell geblieben wäre.«
    »Wo ist er denn nun heute? Ich habe noch nicht wirklich die Zeit gehabt, um mit ihm über ›sein‹ Breyell zu sprechen. Ich bin ganz neugierig, wie das Dorf zu seiner Zeit war. Ob er den gleichen Eindruck hat wie ich. Ich meine, so grundsätzlich, denn zwischen uns liegt altersmäßig ja doch eine ganze Generation.«
    »Ach, ja?« Lisa gluckste und hielt sich die Hand vor den Mund. Ein kleines Mädchen, das ihren Schabernack trieb.
    »Sehr witzig.« Frank konnte sich gerade noch bremsen, um ihr nicht einen Rippenstoß zu versetzen. »Nein, ich meine das wirklich ernst. Was kenne ich denn von Breyell? Nur das, was ich aus den Erzählungen meiner Eltern kenne, oder was ich meine, davon behalten zu haben. Ja, und was ich als Kind erlebt habe. Aber alles, was davor liegt, davon weiß ich nichts. Und davon ist auch nichts sichtbar übrig geblieben.«
    »Aber das ist doch immer so, dass die einzelnen Generationen ihre eigene Geschichte erleben und die nachfolgenden Generationen sich nur ihr eigenes Bild von dieser Vergangenheit machen können. So genau und so ungenau es auch sein mag. Eins zu eins kannst du Geschichte nicht abbilden. Das würde doch auch nur Stillstand in der Entwicklung bedeuten.«
    »Wieso? Dann hätten die Menschen doch endlich einmal die wirkliche Chance, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen.«
    Lisa streckte ihre Arme aus, reckte sich und gähnte. »Herr Philosoph, das Thema ist mir um diese Tageszeit einfach zu kompliziert. Lass uns ein anderes Mal darüber nachdenken, wie wir die Welt und die Menschheit retten können. Ich bin jetzt müde. Wir müssen schlafen. Wir drei.« Lisa gab Frank einen Kuss. »Und mach dich diese Nacht nicht wieder so breit.« Sie legte ihre Hand auf ihren Bauch. »Wir brauchen den Platz.«
    »Na, gut, und wo ist Krüger nun?«
    »Ich weiß es nicht. Ich glaube, er wollte sich noch mit einigen aus der Reisegruppe treffen. Es sind wohl noch nicht alle wieder

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