MASKENBALL UM MITTERNACHT
Calandra Lilles.
Hastig brach sie das Siegel und entfaltete den Brief mit zitternder Hand. Rechts oben standen die Worte Blackfriars Cope Cottage, Lower Upton und daneben das Datum. Dann las sie den Inhalt.
Sehr verehrte Lady Calandra Lilles,
Zu meinem Bedauern muss ich Ihnen mitteilen, dass der Duke of Rochford in der Nähe unseres Hauses einen Unfall mit seiner Kutsche hatte. Mein Ehemann und sein Diener trugen ihn ins Haus, der Doktor wurde gerufen. Sein linkes Bein ist gebrochen und auch einige Rippen, ansonsten geht es ihm gut. Er bat mich, Ihnen zu schreiben und Sie zu bitten, ihn zu besuchen. Der Arzt sagt, er ist nicht transportfähig.
Hochachtungsvoll
Mrs. Thomas Farmington
Mit einem Seufzer der Erleichterung wandte sie sich an den Boten. „Geht es ihm wirklich gut?“
„Ich habe ihn nicht gesehen. Ich weiß nur, was Mrs. Farmington mir berichtet hat. Und sie meint, es ginge ihm den Umständen entsprechend gut.“
„Ich reise sofort zu ihm. Sagen Sie mir nur, wo genau dieses Lower Upton liegt …“
„In Buckinghamshire, Mylady. Mrs. Farmington gab mir den Auftrag, eine Droschke zu mieten und Sie dorthin zu bringen.“
„Danke. Das war sehr vernünftig. Ich packe rasch ein paar Sachen, dann brechen wir unverzüglich auf.“
Der Mann nickte und ging. Callie wandte sich an den Butler, der ein paar Schritte hinter ihr stand und sich einigermaßen wieder gefasst hatte.
„Nun, Fenton, Sie haben gehört. Ich schreibe noch eine kurze Notiz für Lady Haughston.“
„Sehr wohl, Mylady“, bestätigte der Butler mit einer leichten Verneigung. „Ich schicke Ihre Zofe nach oben.“
Callie nickte und eilte die Treppe hinauf, das Herz schlug ihr bis zum Hals, angstvolle Fragen flogen ihr durch den Kopf. War Sinclair schwer verletzt? Den Zeilen von Mrs. Farmington war zwar zu entnehmen, dass keine Lebensgefahr bestand, aber vielleicht wollte die Frau sie nur über seinen wahren Zustand verschonen. Vielleicht war er ernsthaft verletzt, ja sogar dem Tode nahe. Selbst wenn er nur Knochenbrüche erlitten hatte, könnte sich gefährliches Wundfieber einstellen. Vermutlich litt er große Schmerzen und bedurfte dringend ihrer Pflege.
Buckinghamshire lag nicht allzu weit entfernt, überlegte sie, während sie Unterwäsche aus der Kommode nahm und aufs Bett legte. Sie müsste Lower Upton nach Einbruch der Dunkelheit erreichen.
Belinda trat mit erschrocken aufgerissenen Augen ein. „Seine Gnaden ist verletzt, Mylady?“
„Ja, ich hoffe, es ist nichts Ernstes“, sagte Callie knapp. „Er hat sich ein Bein gebrochen. Ich reise zu ihm.“
„Ja, ich packe Ihre Koffer.“
„Vorläufig nur eine Reisetasche mit ein paar Sachen zum Wechseln“, wies Callie sie an. „Wenn ich länger bleibe, gebe ich dir Bescheid, und du schickst mir einen Koffer mit der Postkutsche nach. Ich weiß nicht, in welchem Zustand er sich befindet. Wenn sich herausstellt, dass er wieder transportfähig ist, bringe ich ihn nach Lilles House.“
Während Belinda die Reisetasche packte, schrieb Callie ein paar Zeilen für Francesca. Fenton würde ihr zwar berichten, warum Callie so überstürzt abgereist war, dennoch wollte sie ihr persönlich mitteilen, was geschehen war und wo Sinclair sich aufhielt. Sie beendete den Brief mit der Zusage, ihr umgehend wieder zu schreiben, sobald sie Näheres über Sinclairs Gesundheitszustand wisse. Auch wenn Rochford und Francesca vor seiner Abreise eine Meinungsverschiedenheit gehabt hatten, wollte sie doch gewiss erfahren, wie es um Sinclair stand.
Sie übergab Fenton den Brief mit der Bitte, ihn Lady Haughston unmittelbar nach ihrer Rückkehr auszuhändigen. Belinda stellte die Reisetasche in der Halle ab, der Bote war mit der Mietdroschke vorgefahren. Ohne sich die Zeit zu nehmen, sich für die Reise umzukleiden, wechselte Callie nur die dünnen Schuhe gegen feste Stiefel und warf sich einen warmen Umhang um die Schultern.
Eine halbe Stunde nach Eintreffen der Unglücksbotschaft lehnte Callie sich in die Polster der Kutsche zurück und fand Zeit zum Nachdenken.
Sie zog Mrs. Farmingtons Brief aus der Tasche und las ihn erneut, diesmal sorgfältiger, ohne den Zeilen eine erschöpfendere Auskunft zu entnehmen, nichts darüber, wie es zu dem Unfall gekommen war oder wie schwer Sinclairs Verletzungen waren. Ein gebrochenes Bein und Rippenbrüche gaben ihr keine genaue Auskunft. Die Frau hatte die Zeilen gewiss in Eile geschrieben, und Callie konnte ihr keinen Vorwurf über die ungenauen Angaben
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