MASKENBALL UM MITTERNACHT
Francesca, dass ihr Haar in Ordnung war, und strich sich im Gehen glättend über die Röcke. Lady Odelia machte ihre Besuche stets zu unmöglich früher Stunde, und es bestand kaum Hoffnung, dass andere Besucher die Unterredung verkürzen würden.
„Lady Odelia“, grüßte sie mit einem strahlenden Lächeln und sank in einen anmutigen Knicks. „Wie reizend, Sie zu sehen. Ich bin überrascht, dass Sie die Stadt noch nicht verlassen haben. Beabsichtigen Sie, die ganze Saison in London zu verbringen?“
„Guten Tag, Francesca.“ Die alte Dame wies hoheitsvoll auf den Platz neben sich auf dem Sofa, als sei sie die Hausherrin und nicht Francesca. Wie üblich trug sie ein Kleid, das seit zehn oder fünfzehn Jahren aus der Mode war, und ihre hoch aufgetürmte Frisur war mit Federn geschmückt. „Setz dich, Kind, und zwing mich nicht, den Hals zu verdrehen, um mit dir zu reden.“
Francesca gehorchte, und Lady Odelia fuhr fort: „Ich bin bezüglich meines Aufenthaltsortes noch unschlüssig. Irgendwie fühle ich mich nach meinem Fest wie neugeboren. Ich musste wohl erst fünfundachtzig Jahre alt werden, um mich zu fragen, ob ich den Rest meines Lebens vor Langeweile in Kent versauern soll.“
„Ein längerer Sommeraufenthalt in Bath würde Ihnen gewiss Ablenkung bringen“, schlug Francesca vor.
„Mag sein. Aber ich bin nicht gekommen, um mit dir meine Reisepläne zu besprechen“, entgegnete Lady Odelia spitz.
„Nein, natürlich nicht“, pflichtete Francesca ihr bei und fragte sich, welches Anliegen die alte Dame diesmal haben mochte. Vor geraumer Zeit hatte sie Francescas Unterstützung erbeten, um Lord Radbourne, einen ihrer Großneffen, zu verheiraten. Das Unterfangen war zur vollen Zufriedenheit aller Beteiligten gelungen, aber Francesca blieb argwöhnisch. Lady Odelia hatte nämlich eine besondere Gabe, andere Leute für sich einzuspannen.
„Von deinem Butler hörte ich, meine Großnichte sei krank“, fuhr Odelia fort.
„Ja, leider.“ Francesca hoffte, Lady Odelia würde ihre Lüge nicht durchschauen – auch das war etwas, worauf sie sich hervorragend verstand. „Bei Lady Whittingtons Hauskonzert vor zwei Abenden bekam sie plötzlich leichte Migräne und fühlte sich unpässlich.“
„Ist sie krank, oder trauert sie nur um diesen Bromwell?“, fragte Lady Odelia und traf damit wieder einmal den Nagel auf den Kopf.
„Lady Calandra hatte keinerlei Erwartungen an Lord Bromwell“, entgegnete Francesca seelenruhig. „Sie kennt ihn ja kaum. Ich glaube sogar, sie lernte ihn erst anlässlich Ihres Geburtstagsfestes kennen.“
„Nun ja, Zeit spielt in solchen Fällen kaum eine Rolle“, widersprach Lady Odelia. „Ich weiß nicht, was in den Bengel gefahren ist. Wie ich höre, hat er sich auf seine Ländereien zurückgezogen. Dabei hatte ich mir große Hoffnungen für ihn und Callie gemacht. Wie dem auch sei …“, die alte Dame zog die Schultern hoch. „Sie wird keinen Mangel an Verehrern haben.“
„Nein, gewiss nicht.“
„Was hast du morgen vor?“, fragte Lady Odelia unvermittelt.
Francesca erstarrte innerlich. „Ehm … ich weiß nicht“, murmelte sie, um Zeit zu gewinnen. Nie war sie um eine höfliche Notlüge verlegen, aber ihr sonst so wacher Verstand schien in Lady Pencullys Gegenwart benebelt zu sein. „Um welche Zeit morgen?“
„Den ganzen Tag. Ich habe mich dazu entschlossen, die Duchess of Chudleigh zu besuchen. Die Taufpatin deiner Mutter“, fügte sie hinzu, als wisse Francesca nicht, um wen es sicht handelte.
„Oh“, sagte Francesca schwach.
„Und ich halte es für eine gute Idee, wenn du mich begleitest. Sie lebt in Sevenoaks, wie du weißt, und würde dich gerne sehen. Dann kannst du deiner Mutter über den Gesundheitszustand der Duchess berichten. Sie war den ganzen Winter hindurch in schlechter Verfassung und wird zunehmend gebrechlicher.“
„Ja, Mutter hat davon gesprochen“, bestätigte Francesca mutlos. Die Aussicht, stundenlang mit Lady Odelia in einer holprigen Kutsche zu sitzen, um anschließend mit den betagten Damen Tee zu trinken, die sich in voller Lautstärke unterhielten – da die Duchess zwar stocktaub war, sich aber weigerte, ein Hörrohr zu benutzen, weil es sie alt mache, wie sie behauptete –, übte keinen großen Reiz auf sie aus.
Wie Lady Odelia wohlweislich erwähnt hatte, wäre dieser Besuch allerdings im Sinne ihrer Mutter. Da Francesca zur Pflichterfüllung erzogen worden war und außerdem Lady Odelia nicht in die Augen hätte
Weitere Kostenlose Bücher