MASKENBALL UM MITTERNACHT
stört mich nicht, über meine Mutter zu reden. Mit Sinclair kann ich kaum über sie sprechen, das macht ihn traurig, der sie ja viel länger kannte als ich. Und er erinnert sich an sie, wie sie vor dem Tod unseres Vaters war. Eine sehr warmherzige und liebevolle Mutter, die oft ins Kinderzimmer kam, um mit uns zu spielen, als Vater noch am Leben war. Ich erinnere mich an Spaziergänge mit ihr durch den Garten. Sie erklärte mir Pflanzen und Blumen und nannte mir ihre Namen. Sie liebte ihren Garten. Ich durfte ihr beim Blumenpflücken und beim Binden der Blumengestecke helfen.“
„Demnach muss sie eine gute Mutter gewesen sein“, stellte Bromwell fest.
„Das war sie auch. Und ich weiß, dass sie mich liebte. Aber nach dem Tod meines Vaters veränderte sie sich völlig. Sie hat ihn sehr geliebt, und die Trauer um ihn hat ihr jede Lebensfreude genommen, beinahe als wäre ein Teil von ihr mit ihm gestorben und nur ihr Körper hätte noch bei uns geweilt. Sie interessierte sich für nichts mehr, kümmerte sich nicht mehr um ihren Garten oder die Blumen. Sie machte zwar lange Spaziergänge, zu denen durfte ich sie aber nicht mehr begleiten. Sie wollte allein sein, saß oft stundenlang auf einer Bank und starrte ins Leere.“
Callie wandte sich Bromwell zu. „Vermutlich halten Sie mich für sehr selbstsüchtig, mich darüber zu beklagen, dass meine Mutter mir zu wenig Aufmerksamkeit schenkte, nachdem sie diesen tragischen Verlust erlitten hatte.“
„Nein, ich halte Sie nicht für selbstsüchtig“, widersprach er bedächtig. „Auch Sie haben durch den Tod Ihres Vaters einen großen Verlust erlitten – nicht genug damit, dadurch wurde Ihnen auch die Zuneigung Ihrer Mutter entzogen.“
„Ja.“ Callie war überrascht und verlegen, dass ihr Tränen in den Augen brannten. Es waren so viele Jahre seit dem Tod ihres Vaters vergangen und auch seit dem ihrer Mutter. Sie hatte vor langer Zeit aufgehört, um ihre Eltern zu weinen, aber irgendwie weckte die aufrichtige Anteilnahme dieses Mannes eine seltsame Mischung aus Trauer, Dankbarkeit und Zärtlichkeit in ihr, die ihr die Tränen in die Augen trieb.
Sie blinzelte heftig und ließ den Blick über die Felder und Wiesen wandern, um ihren inneren Aufruhr zu beruhigen. „Danke für Ihr Verständnis“, murmelte sie.
„Meine Mutter starb kurz nach meiner Geburt“, begann Bromwell. „Meine Kinderfrau war mir wie eine Mutter, wurde aber später durch eine strenge Erzieherin ersetzt. Dennoch besuchte ich sie im Dorf, wann immer ich Gelegenheit dazu hatte. Sie war die Schwester eines Pachtbauern meines Vaters, eine Witwe, die ihr Kind verloren hatte, kurz nachdem meine Mutter gestorben war. Ihr Bruder hatte einen Sohn in meinem Alter. Henry war mein einziger Freund abgesehen von Daphne. Ich habe also Verständnis für Ihre Gefühle.“
„Sehen Sie Henry noch heute?“
„Oh ja.“ Er schmunzelte. „Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass er eigentlich immer noch mein einziger Freund ist. Er ist mein Gutsverwalter. Sein älterer Bruder übernahm die Farm, und Henry war immer sehr lerneifrig. Ich brachte ihm Rechnen und Schreiben bei, als wir noch klein waren, und versorgte ihn heimlich mit Büchern, die er gierig verschlang. Als ich das Erbe antrat, machte ich ihn zu meinem Gutsverwalter. Sein Vorgänger hatte meinen Vater jahrelang unbemerkt bestohlen, der sich zu vornehm war, um je einen Blick in die Geschäftsbücher zu werfen. Weder mein Vater noch sein Verwalter waren bei den Pächtern und Landarbeitern beliebt.“ Er hielt inne. „Tut mir leid, ich wollte eigentlich nicht über so langweilige Themen reden. Zweifellos bereuen Sie es jetzt schon, an dem Ausflug teilgenommen zu haben.“
„Keineswegs“, widersprach Callie aufrichtig. „Ich habe meinem Bruder häufig zugehört, wenn er über seine Geschäfte sprach – also über die Verwaltung der Güter. Seine Geschäfte an der Börse interessieren mich wenig, muss ich gestehen. Aber die Landwirtschaft interessiert mich. Dabei geht es nicht nur um trockene Zahlen, sondern um Ackerbau und Viehwirtschaft, um Menschen, die das Land bearbeiten, und um ihre Familien. Am Erntedankfest und an Weihnachten durfte ich immer lange aufbleiben und mit den Bauern feiern. Und als ich älter wurde, machte ich lange Ausritte mit einem Stallburschen und besuchte die Familien der Pächter, wenigstens in Marcastle und Dancy Park. Mit den anderen Landgütern bin ich weniger vertraut, weil ich dort zu wenig Zeit verbracht
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